„Wenn ich meine Arbeit nicht zeige, existiere ich nicht mehr”

Régine Chopinot bespielt im Dezember drei Wochen lang im Alleingang das Berliner Tacheles

Berlin, 07/11/2007

Régine Chopinot ist eine radikale Künstlerin. Über zwei Jahrzehnte lang hat die 1952 geborene Französin, die in den 80er Jahren zusammen mit Jean Paul Gaultier die Tanzszene aufmischte, das finanziell opulent ausgestattete choreographische Zentrum von La Rochelle geleitet. Nächstes Jahr wird sie im gemeinsamen Einverständnis mit ihren Geldgebern diesen komfortablen Posten verlassen.

Anstatt sich im Schoße der Institution auszuruhen, hatte sie das Publikum mit immer extremeren Arbeiten polarisiert. Außerdem hatte sie sich politisch unbeliebt gemacht, als sie vor vier Jahren die Streikbewegung der „intermittents” gegen eine Reform der Arbeitslosenhilfe für französische Kulturschaffende unterstützte. Nachdem in jüngster Zeit nur noch wenige Programmatoren wagten, sie einzuladen, geht Chopinot nun in die Offensive: Für drei Wochen mietet sie den Goldenen Saal des Tacheles, um dort dreizehn Mal in Folge ihr Stück „Garage” zu zeigen und gleichzeitig bei einem Workshop Künstler aus Berlin kennenzulernen. Frank Weigand sprach mit Régine Chopinot über ihr ungewöhnliches Projekt und dessen kulturpolitische Hintergründe.

Frage: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein solches Projekt ausgerechnet im Berliner Tacheles zu realisieren?

Régine Chopinot: Für mich ist das Tacheles ein Symbol für Freiheit, Unabhängigkeit und intensives Leben. Seit Anfang der 90er Jahre hat es nirgendwo auf der Welt einen lebendigeren Ort gegeben. Als ich dort hinkam, war ich beeindruckt von seiner ungeschminkten Schönheit und der Vitalität, die da noch zu spüren ist. Gleichzeitig ist diese Schlichtheit wie ein Echo auf mein Stück „Garage”, in dem ich nach und nach alles Überflüssige abtrage, um zu einer extrem schnörkellosen Form zu gelangen.

Frage: Aber heute ist das Tacheles kaum mehr als das Symbol einer vergangenen Zeit, wo ohne künstlerische Auswahlkriterien die Choreografen auftreten, die nirgendwo anders unterkommen...

Régine Chopinot: Das ist heutzutage doch eine wunderbare Eigenschaft. Die grundlegende Frage für mich ist: Wie kann ich die Begegnung mit einer Stadt und ihrem Publikum so offen wie möglich gestalten? Sind all die Zwischeninstanzen, die sich in den letzten 10 Jahren überall auf der Welt entwickelt haben, wirklich zu etwas gut? Gerade weil ich aus der Institution komme, versuche ich jetzt, all das Überflüssige einzusparen, was um jede künstlerische Aufführung herum aufgebaut wird. Habe ich heute als Künstlerin die nötige Kraft und Dringlichkeit, um auf diese Zwischeninstanzen zu verzichten? Genau, um das herauszufinden, komme ich nach Berlin. Die Antwort darauf habe ich erst Ende Dezember.

Frage: Dass Sie hier in Berlin auftreten, ohne eingeladen worden zu sein, ist ungewöhnlich, fast revolutionär. Wollen Sie damit das System von Produktion, Networking und Gastspielmarkt hinterfragen?

Régine Chopinot: Ich glaube mit einer fast animalischen Hartnäckigkeit an die Qualität meiner Arbeit und weigere mich zu akzeptieren, dass man mir sagt, sie sei nur für ein kleines Publikum geeignet. Meine Arbeit ist vielleicht anspruchsvoll, aber ich glaube trotzdem nicht, dass es schwierig ist, Zugang zu ihr zu finden. Ich denke, dass sie dem Publikum sogar sehr viel zu sagen hat, und dass es meine Verantwortung als Künstlerin ist, herauszufinden, ob ich den Kontakt zu meinem Publikum selber herstellen kann – ohne mich von all diesen Zwischeninstanzen abhängig zu machen. Das ist sicher auch eine politische Frage – vor allem aber eine künstlerische.

Frage: Aber nicht jeder Künstler kann so einfach auf Koproduzenten verzichten, wie die Leiterin eines finanziell gut ausgestatteten choreografischen Zentrums...

Régine Chopinot: Sobald ich diese Institution verlasse, macht das meine Möglichkeiten nur größer. Denn es geht nicht nur um Geld, sondern um ein unmittelbares dringendes Bedürfnis. Dies ist mein letztes Jahr als Leiterin eines Centre Chorégraphique, und ich bin dabei, zu überprüfen, ob ich außerhalb der Institution weiterexistieren kann. Denn wenn ich meine Arbeit nicht zeigen kann, höre ich auf zu existieren. Nirgendwo läuft heute noch ein Stück über einen längeren Zeitraum hinweg. Dreizehn Aufführungen, um eine Arbeit wirklich zu verstehen und sie durch die Konfrontation mit dem Publikum weiterzuentwickeln – das gibt es nicht mehr, und alle bedauern das. Niemand geht mehr das Risiko ein, zu überprüfen, was das für ein Gewinn für den Künstler und für die Bevölkerung einer Stadt sein kann. Ich möchte mich symbolisch und künstlerisch von eingefahrenen Gewohnheiten lösen und gleichzeitig das Netzwerk in Frage stellen, in dem sich die Kunst heute befindet.

Frage: Aber so etwas muss man sich auch leisten können. Allein die Miete für das Tacheles...

Régine Chopinot: Aber es geht hier nicht um Geld. Es geht um das dringende Bedürfnis nach einer Alternative. Wie soll das enden, wenn es in der Gesellschaft keinen Platz mehr für die Kunst gibt? Oder wenn es Kunst nur noch in einer einzigen Form geben darf: derjenigen, die das größte Publikum anzieht. Ich habe nichts gegen ein großes Publikum, aber damit das Leben interessant bleibt, muss man die Wahl haben. Und heute werden unsere Wahlmöglichkeiten durch die Entscheidungen einiger weniger Leute gefährlich eingeschränkt, bei denen Qualität, Engagement und Anspruch kaum eine Rolle spielen. Wir Künstler haben keinen Zugang mehr zum Publikum, andere Leute sprechen und denken an unserer Stelle, die eben keine Künstler sind. Warum sollte sich der Künstler also nicht selbst um seinen Platz kümmern, seine Fähigkeit, auf ein Publikum zu treffen?

Frage: Aber warum in Berlin und nicht in Frankreich? 

Régine Chopinot: Ich möchte überprüfen, welchen Stellenwert der Künstler weltweit in der Gesellschaft hat. Berlin interessiert mich, weil es als Stadt gleichzeitig in einer Sehnsucht nach der Vergangenheit und einer starken Lust an der Gegenwart lebt, und weil das Publikum sehr heterogen ist. Gerade arbeite ich daran, dieselbe Situation einer unmittelbaren Begegnung mit den Zuschauern auch in New York und in Tokio aufzubauen. Ich will wissen, ob ich, mit meiner rein französischen Biographie, auch in anderen Städten auf der Welt bestehen kann. Mich interessiert, wie man in diesen drei unterschiedlichen Großstädten tanzt und lebt – und ob es dort einen Platz für mich als Choreografin gibt.

Frage: Und warum dieses Stück „Garage”?

Régine Chopinot: Es geht darin buchstäblich um mich selbst: Régine Chopinot, die sich selbst als Tänzerin und Interpretin auf die Probe stellt. Außerdem untersucht es die unerschöpfliche Beziehung zwischen Musik und Tanz – im Dialog mit dem Livemusiker Gianni Fornet. Seine Musik ist keine sehr ausgefeilte, sondern eher eine affektive. Gianni ist 30 Jahre alt, und es gibt zwischen uns beiden eine Art Dialog und Einverständnis über die Generationen hinweg. Denn für mich ist die Frage nach Generationen, nach Jugend und Alter, ein wichtiges Thema geworden, das alle angeht. Gleichzeitig hinterfragt die Lichtregie von Maryse Gauthier und Jean Michel Bruyère die Wahrnehmungsgewohnheiten des Publikums. Im Spannungsfeld zwischen Tanz, Licht und Musik stellt sich für den Zuschauer die Frage nach seiner Eigenverantwortung, danach wie aktiv oder passiv er sich bei der Rezeption des Stückes verhält.

Frage: Worum geht es in dem Workshop? 

Régine Chopinot: Für mich waren Workshops schon immer wichtige Ergänzungen zu meiner Forschungsarbeit, eine Möglichkeit, mich nicht wie in einer Blase in irgendwelchen Gewissheiten einzuschließen. Wenn ich auftrete, ist es schwer, das Publikum als Individuen kennenzulernen. In Workshops dagegen begegne ich manchmal Künstlern, mit denen ich später noch jahrelang zusammenarbeite, und die ich sonst nicht kennengelernt hätte. Wir werden an der Fähigkeit des tanzenden Körpers arbeiten, mit anderen in Beziehung zu treten – auch wenn sich das schrecklich banal anhört.

Alles entsteht aus dem einfachen Bedürfnis heraus, eine Dynamik zwischen Leuten zu erzeugen, die sich für Bewegung, Raum und Rhythmus interessieren. Diese Workshops sind offen für alle. Für Amateure im positiven Sinne des Wortes: Leute, die lieben, die engagiert sind. Und auch für professionelle Tänzer, die ihre eigene Praxis in Frage stellen wollen. Jeder ist willkommen, der bereit ist, seine Intelligenz und seine Emotionen einzubringen und in der Lage ist, sich auszutauschen, und darüber zu diskutieren, welche Werkzeuge uns dabei helfen können, voll und ganz in der Gegenwart zu existieren.

Frage: Ist das Ganze nicht ein ziemlich romantisch-utopisches Projekt? 

Régine Chopinot: Wenn nicht einmal die Künstler noch Utopien haben, weiß ich nicht, wie wir noch weiterleben sollen. Für mich zeichnet gerade das den Künstler aus. Er ist derjenige, der mit seiner Arbeit die Grenze zwischen Realität und Phantasie so hart wie möglich auf die Probe stellt. Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien in der Ausgabe 11-12/07 des Magazins TanzRaumBerlin. Aufführungen von „Garage” vom 5.12. bis 9.12., vom 12.12. bis 16.12., sowie vom 19.12. bis 21.12. jeweils um 20Uhr im Kunsthaus Tacheles.
Régine Chopinots Workshop „IN SITU” findet vom 13.12. bis 17.12. jeweils von 11 bis 16Uhr im Tacheles statt. Die Teilnehmerzahl ist auf fünfzehn begrenzt.

www.tanzfabrik-berlin.de www.tacheles.de www.barc.fr

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