Den Blick schärfen für Gesten und Signale

In der Parkaue untersucht Volker Eisenach mit Jugendlichen „Amok“

Berlin, 23/08/2007

Ordentlich sollen die Haare sein, Dutt die Mädchen, Scheitel die Jungen, fordert Choreograf Volker Eisenach: Unauffällig möchte er seine Tänzer in ihren Rollen haben. Auch Nagellack, Schmuck, Piercings verbieten sich von selbst. Zum zweiten Mal veranstalten Eisenachs Faster-Than-Light-Dance-Company (FTL) und das Theater an der Parkaue gemeinsam ein Sommer-Tanz-Projekt. Das Theater stellt dazu den Raum für Proben und Aufführungen, der Choreograf bringt sein kreatives Potenzial ein. Fast 50 Jugendliche sind diesmal den Werbeaktionen beider Einrichtungen gefolgt. Jeder kann mitmachen, ein Ausleseprinzip gibt es nicht. Als Thema für den zweiwöchigen Probenprozess hat Eisenach „Amok“ vorgegeben und auch das vierzigminütige Ergebnisstück so benannt. Beethovens 2. Sinfonie bildet die musikalische Basis. Er wollte kein Klischee bedienen, hat deshalb bewusst auf Hardrock verzichtet, den man eher mit Amok assoziieren würde, sagt der Choreograf. Ihn interessiert mehr, was vor dem Ausraster Jugendlicher liegt, als der konkrete Tötungsmechanismus. Der Weg dorthin, die verpassten Verhinderungschancen, die nicht beachteten Gemütszustände des Betroffenen, seine unbemerkt gebliebenen Gesten und Signale, die unterlassenen Versuche der Gruppe, ihn zurückzuholen.

Zweireihig knien zu Anfang die jungen Tänzer, manche halten die Hände wie geknebelt auf dem Rücken. Uniform wirken sie in schwarzer Hose, weißem Hemd, rotem Schlips. Immer wieder wagen einzelne den Ausbruch aus der Gemeinschaft. Doch noch herrschen Frieden und Harmonie, umarmen sich die Menschen brüderlich. Ihren großen Kreis beulen indes latente Spannungen aus, bis Aggressionen das Vertrauen lädieren. Ein Opfer wird gefunden, für dessen Leiden Eisenach starke Bilder gelingen. Am Ende wird die Krawatte zur Augenbinde: nichts wahrhaben wollen.  

Zwei Kurzchoreografien von FTL-Mitgliedern ergänzen den Abend, der am 24.8. in der Parkaue seine Premiere erleben wird. So möchte Benjamin Pohlig, Assistent bei „Amok“, in seinem Beitrag untersuchen, wie Musik, hier Jazzrock, zu Bewegung wird. Sven Schlenzok trauert in seinem Duett einer verflossenen Liebe nach. Wir wollen choreografischen Talenten eine Plattform bieten, sagt „FTL-Papa“ Eisenach.

Der andere Sven gestaltet den Part des Amokläufers, die Sinfonie kannte er aus der Schule. Das Nachdenken zu befördern, darin sieht er sein Anliegen: Der Anfang zeigt ja, dass es zwischen Menschen auch anders geht, friedlich. Was als Schul-Pflichtprogramm im Rahmen des Musikkurses begann, wurde ihm zum Hobby: tanzen bei FTL. Sandra aus derselben Schule möchte etwas über den inneren Amoklauf, das Aufbegehren in sich aussagen. Relativ neu ist Stefanie: Ihre Schwester hat sie auf FTL neugierig gemacht und darauf, wie man mit Musik etwas erzählen kann. Und der Türke Onur, Darsteller des Opfers, hat mittlerweile gelernt, Emotionen zuzulassen. Er sei, sagt sein Freund Sven, das beste Beispiel, wie integrierend die FTL-Familie wirkt. Amok in einer solchen Atmosphäre ist schlichtweg unvorstellbar.

24.-26.8., 19 Uhr, Theater an der Parkaue

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