Sind wir Osteuropäer dazu verdammt, immer „hinterher“ zu sein?

Ein Gespräch mit dem bosnischen Performancekünstler Sasa Asentic

Berlin, 19/08/2007

Sasa Asentic ist neu im internationalen Festivalbetrieb. Bei Tanz im August zeigt der 1977 geborene Bosnier seine Lecture Performance „My private biopolitics”, die sich kritisch mit der Vormachtstellung westlicher Tanzkultur auseinandersetzt. tanznetz.de sprach mit dem Künstler über Vorurteile, westliche Kuratoren und die Schwierigkeiten beim Aufbau einer zeitgenössischen Tanzszene in Serbien.

Was ist das Thema von „My private biopolitics”?

Sasa Asentic: Es geht darum, wie man mit Einflüssen von außen umgeht, ohne sie einfach zu kopieren. Dadurch, dass unsere Tanzszene in Serbien keine Kontinuität hatte, imitieren viele Künstler einfach Konzepte aus dem Westen, ohne sie wirklich zu hinterfragen. Tanz war in Serbien lange Zeit nichts weiter als ein Werkzeug zur Verherrlichung einer nationalistischen Identität. Ich beschäftige mich mit Arbeiten sogenannter konzeptueller Künstler wie Xavier Le Roy, Jérôme Bel oder Boris Charmatz und versuche sie auf unseren lokalen Kontext und unsere lokalen Körper zu übertragen. Gleichzeitig geht es um die Frage, wer die Macht hat, zu bestimmen, was nun „zeitgenössisch” ist. Und diese Macht liegt meistens im Westen.

Dieses Thema beschäftigt Sie schon lange...

Sasa Asentic: „My private biopolitics” gehört zu einer Trilogie mit dem Titel „Indigo Dance”. Der Titel bezieht sich auf das Wort „Indigo”, das wir im Serbokroatischen für Kohlepapier verwenden, also um den Prozess des Abpausens, des Kopierens. Denn oft scheint es, als seien wir Osteuropäer verdammt dazu, „hinterher” zu sein und Dinge zu kopieren, die der Westen hervorgebracht hat. Die beiden anderen Teile sind Installationen. Die eine beschäftigt sich mit der Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in Serbien von 1920 bis heute. Die andere untersucht das Verhältnis zwischen westlichen Kuratoren und Choreografen aus Osteuropa.

Ist der Titel „My private biopolitics” eine Anspielung auf Michel Foucaults Begriff der „Biopolitik”?

Sasa Asentic: Natürlich, denn ich beschäftige mich mit dem Körper. Ich versuche einen Platz für meine lokale Besonderheit zu finden, die eben auch in meinem Körper liegt – und gleichzeitig setze ich mich mit westlichen Vorurteilen und Erwartungen auseinander. Wenn man in Serbien ein zeitgenössisches Tanzstück schafft, muss man mit dem umgehen, was unseren Körpern bereits an Erwartungen eingeschrieben ist, denn natürlich haben die Zeit des Sozialismus und die dunkle Kriegszeit Stereotypen produziert. Man muss sich also fragen, welche Kräfte diese Einschreibung vollziehen und wie die Körper aussehen, die davon betroffen sind.

Wie kam es zur Entwicklung des Stückes?

Sasa Asentic: Ich habe das Stück bei einer Residenz im Centre National de la Danse in Paris erarbeitet und bin eher zufällig damit in das Austauschprogramm Dance Web geraten. Die brauchten einfach noch einen Künstler aus Serbien. Wenn ich jetzt in Berlin spiele, beschäftigt sich mein Stück natürlich auch mit der Frage, warum ich eigentlich hierher eingeladen wurde – und was mein Stück in diesem westeuropäischen Kontext bedeutet.

Sie sind als Tänzer und Performer Autodidakt. Wie kam es, dass sie anfingen, sich mit darstellender Kunst zu beschäftigen?

Sasa Asentic: 1995, im finstersten Moment unserer Geschichte, als der Krieg auf seinem Höhepunkt war und in Serbien das Milosevic-Regime herrschte, zog ich aus Bosnien, wo ich geboren bin, nach Serbien. Die ganze Gesellschaft befand sich damals in einer Krise. Und in dieser Krisensituation lernte ich Leute kennen, die sich mit darstellender Kunst beschäftigten und versuchten, mit ihr auf die Situation der Gesellschaft zu reagieren. Die sogenannte „alternative Szene”, die sich stark gegen Milosevics Regime wehrte. Für mich war dies der einzige Raum, in dem es mir möglich schien, Sinn und Veränderung zu schaffen. Ich wollte mich weiterbilden, und das ging nur durch die Begegnung mit anderen Künstlern und Theoretikern. So fing ich an, an Kunstaktionen teilzunehmen und verschiedene Körpertechniken zu trainieren. Und nach und nach begann ich, die darstellende Kunst als Disziplin und Praxis zu verstehen. Offiziell habe ich allerdings Landwirtschaft und Pädagogik studiert.

Warum haben Sie sich gerade für den Tanz entschieden?

Sasa Asentic: In den 90ern habe ich eine Menge Straßenperformances und unangemeldeter Kulturguerilla-Aktionen gemacht, in Reaktion auf das Milosevic-Regime und die Kulturpolitik der Stadt Novi Sad. Später baten mich einige Freunde, die Balletttänzer am Nationaltheater waren, um Hilfe. Sie wollten mal etwas anderes machen und an der Entwicklung eines zeitgenössischen Tanzes arbeiten. So fing ich an, sie in Projekten einzusetzen, die nichts mit klassischem Tanz zu tun hatten – und sie wiederum brachten mich in Projekten unter, die sich in alternativer Weise mit klassischem Tanz beschäftigten. So kam ich in den Tanzbereich. Und im Lauf der Jahre fiel mir auf, was der Tanzszene in Serbien fehlte. Und das habe ich zum Thema meiner Performance gemacht. Auch aus einer Art Verantwortungsgefühl...

Wie kann man als unabhängiger Künstler in Serbien überleben?

Sasa Asentic: Es ist ein ständiger Kampf, ein ständiges Arbeiten an parallelen Projekten. Viele meiner Kollegen haben inzwischen aufgegeben. Für „Indigo Dance” habe ich nicht einen einzigen Dinar aus Serbien bekommen. Die lokalen Ministerien interessierten sich nicht dafür. Die würden niemals kommen, um sich ein Stück von mir ansehen. Dabei stimmt es gar nicht, dass es in Serbien kein Geld gibt. Nur ist die Gesellschaft sehr korrupt. Und wenn man nicht die richtigen Leute kennt, hat man eben Pech. Ich bewerbe mich jedes Jahr um öffentliche Fördergelder und wundere mich immer wieder über die Entscheidungen. Aber das ist eine andere Geschichte... Die meisten meiner Arbeiten beschäftigen sich mit den Bedingungen, die zur Entstehung eines Kunstwerks oder einer Kunstszene notwendig sind – und gleichzeitig versuche ich diese Bedingungen aufzubauen. Das ist ein sehr anstrengender Prozess, aber wenn man damit nicht alleine ist, schafft man es, dranzubleiben, bis es irgendwann einmal eine feste Basis und Strukturen gibt.

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