Das Gefängnis des Alters

Im Dock 11 lässt Marion Buchmann zum Thema „SchonZeit“ tanzen

Berlin, 03/05/2007

Im Zentrum der Spielfläche des Dock 11 stehen zwei Frauen dicht gegenüber, vertieft in einen gestischen Disput. Fahrig, nervös, ruckhaft sind ihre Bewegungen, wiederholen sich zyklisch, muten wie zwei isolierte Selbstgespräche an. Mitteilung, über die Demonstration des gleichen Zustands hinaus, findet nicht statt. „SchonZeit“ nennt Marion Buchmann diese erste Episode ihrer mehrteilig geplanten Studie ums Älterwerden. In Gesprächsformation durchmessen die beiden den Raum, wieder ohne echten Austausch. Als sie sich zu einer Folge von Soli trennen, brechen aus jeder in voller Wucht Erinnerungen und Ängste hervor. Größer werden die Bewegungen, heftiger, monotoner und auch mechanischer, wie Demente sich artikulieren. Trägt bisweilen nur wenige Töne umspielender Streicherklang von John Zorn die Ausbrüche, so wird die Barcarole aus Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ zur zentralen Komposition des Abends.

Während sich die Musik verströmt, ihr Text in Liebesnächten schwelgt, finden die Frauen keinerlei rhythmische Beziehung zu ihr. Verstört schrammt eine ihren Hocker durch den Raum, wetzt auf der Sitzfläche umher, dreht sich versonnen im Schwebesitz. Die andere durchmisst liegend den Boden, wölbt sich wie eine Amöbe. Als die Musik endet, singt eine mit scheppernder Greisinnenstimme die Melodie nach, wird später diesen Rhythmus mit den Fäusten auf ihre Hüften trommeln. Im Film (Walter Bickmann) klimpert eine dritte Frau die Barcarole auf dem Klavier, bearbeitet das Instrument mit der flachen Hand, dem Unterarm, bis die Töne ins Unkenntliche zersplittern. Gekrümmt leidet eine Zuhörerin, zieht sich an den Haaren, versinkt in sinnentleerter Motorik. Die andere stakelt umher, wird periodisch von unkontrolliertem Schütteln erfasst, prüft ihre Jahre auf einem Abakus. Im Video zählt ein Alter immer wieder nur bis 8, dann reißt sein Wissen ab.

Demolierte Bewegungsbruchstücke sind es, die Marion Buchmann den Tänzerinnen in den Körper legt, verbliebene Fragmente aus besseren Tagen, die zu keiner Kommunikation mehr taugen. Aus einer Art gefilmtem Treppenstepp der einen ist auf der Szene nicht viel geblieben. Gegen Ende der 50 Minuten erstarrt der Tanz zunehmend. Eine Frau legt ihre Hände auf die der anderen, bremst so deren in Abwehr auf den eigenen Körper zielenden Schläge, regt zu Streicheln an. Gleißend hell wird da unter einer angestrahlten Silberfolie das Licht, als lösten sich die zwei in eine andere Welt auf. Dezent und achtungsvoll verhandelt die Choreografin das heikle Thema, hat für das Gefangensein des Körpers in sich selbst eindrückliche Bilder und Bewegungen, für ihr Stück zwei überzeugende Darstellerinnen gefunden. Besonders Lydia Klement, intensiv und präzis, beweist wieder herausragende Qualität.


Wieder 28.+29.4., 3.-6.5., 20.30 Uhr
Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 448 12 22

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