Routinierte Mechanismen willenloser Subjekte

„life is perfect“ widerlegt und beweist die Compagnie Toula Limnaios in der HALLE

Berlin, 11/06/2007

Ein Paar rücklings zum Publikum steht vor einer Frau, die sich auf einem kleinen Tisch eingerichtet hat, als sei er ihr Zuhause. In gleicher Krümmlage bevölkert der Rest der Kompanie Toula Limnaios den Bühnenboden - bis auf eine blondmähnige Megäre mit künstlichem Kussmund. Wie eine lebensgroße Barbiepuppe klebt sie in violetter Abendrobe bewegungsstarr in einem Lichtkreis hoch oben an der Ziegelwand der HALLE. „life is perfect“ überschreibt die griechische Choreografin ihre jüngste Arbeit für die eigene Spielstätte an der Eberswalder Straße und beginnt fix, diese Behauptung zu unterlaufen. Kaum setzen die Geräusche von Wellenschlag und Atmen ein, wie Ralf R. Ollertz sie vom rechten Bühnenrand aus immer wieder mit verschiedensten Instrumenten live produziert, technisch verfremdet und mit vorgefertigtem Klang mixt, da greift das unperfekte Leben um sich. Das Paar wirft die Frau so oft vom Tisch, bis sie die Rückkehr in ihr Paradies aufgibt. Plumpsend fällt auch die angeklebte Barbie in die reale Welt.

Dort versuchen Männer sie aufzupusten und zu beleben, derweil zwei andere Männer ihre Partnerinnen, alle in langen Kleidern, in Popirouetten herumschleudern. Normaler Umgang miteinander scheint auch weiterhin nicht möglich. Frauen klappen ihre Männer auf dem Boden zusammen, eine Frau muss in den flüchtigen Kuss auf ihren liegenden Partner hinabgesenkt werden. Ein Tango zu Musikfetzen gerät zu einer emotionsfreien Schlepp- und Rutschaktion mit Beinverklemmung. Kontakte zwischen den Menschen finden nur noch als routinierte Mechanismen willenloser Subjekte statt. Durch Ruck und Stoß quetscht eine Frau wie bei einer Lebensrettungssituation dem Körper ihres sitzenden Gegenübers Laute ab, die ein Mikrofon verstärkt. Es sind Bilder perfekten Funktionierens ohne Gefühl, die Toula Limnaios 70 Minuten lang entwickelt, überlagert und mit denen sie eine angstvolle Vision menschlicher Kälte heraufbeschwört. Ein Paar findet zu gleichem Rhythmus nur noch im gemeinsamen Zitteranfall.

Als ein Paar mit Augenbinden nacheinander tastet, nehmen endlich zwei Menschen einander wahr, um dann im Tango-Ringkampf zu stranden. Die anderen beobachten sich selbst in Spiegeln, kleben eine Frau auf den Boden, übertanzen sie in steigendem Tempo mit Pumps, dass man um ihre Gesundheit bangt. Das schönste Solo des Abends obliegt Hironori Sugata: In rotem Fummel und Sakko tanzt er sich rund und harmonisch fast in Trance und leitet den überraschenden Schluss ein. Nackt verklumpen und betten sich die vier Tänzer und drei Tänzerinnen zärtlich zum Leiberberg, der doch wieder Hoffnung macht auf jene Nähe, die der Abend bis dahin schon verloren gegeben hatte.


Wieder 14.-17., 21.-24., 28.-30.6., 21 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 440 442 92
5. und 6. Juli 2007: 5. Internationales Tanzfestival Athen 9. Juli 2007: Tanzfestival Patras September 2007: Deutsch-griechische Kulturwochen: Thessaloniki, Athen 1. - 28. Okt. 2007: Brasilien-Tournee: Recife, Fortaleza, Salvador de Bahia, Sobral 8. - 11. Nov. 2007: Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main

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