„Nur die Musik hat sich verändert“

Interview mit Lucinda Childs anlässlich der „Chamber Symphony“

München, 26/04/2007

In München eröffnet an diesem Wochenende die Ballettwoche – unter anderem auch mit der Trilogie „Chamber Symphony“, das Lucinda Childs (66) vor 13 Jahren für das Bayerische Staatsballett schuf. Mit tanznetz.de sprach die New Yorker Ikone des Post Modern Dance über Spitzenschuhe, Veränderung und die wichtigsten Momente ihrer Laufbahn.


Frau Childs, es ist kaum zu glauben, dass Sie seit 44 Jahren choreographieren. Sie sehen so jung und dynamisch aus.

Ja, ich fühle mich hervorragend. Ich trainiere auch täglich, wenn mir die Arbeit Zeit lässt. Mein Körper soll geschmeidig bleiben, damit ich mich nicht plötzlich verletze, wenn ich in der Probe etwas demonstriere. Ich hatte mein ganzes Leben lang keine schlimme Verletzung, das soll so bleiben. Nur das viele Reisen bekommt mir nicht mehr so gut. Ich kann nicht mehr aus dem Flieger steigen und direkt in den Ballettsaal rennen. Davor brauche ich eine Pause.

Nun sind Sie in München gelandet, um „Chamber Symphony“ von 1994 neu auf die Bühne zu bringen. Nutzen Sie Wiederaufnahmen Ihrer Stücke, um sie zu aktualisieren und zu verbessern?

Nein, meine Einstellung gegenüber meinen Arbeiten ändern sich nicht. Ich bringe immer nur kleine Korrekturen an, verkürze vielleicht mal eine Bewegung oder spare eine Wiederholung. Aber große Neuerungen gibt es nie. Schon gar nicht, wenn ein Stück wie „Chamber Symphony“ von der Kompanie getanzt wird, die es kreiert hat. Allerdings musste mir Ballettmeister Thomas Mayr bei der Neubesetzung der Rollen helfen.

Von der ersten „Chamber Symphony“-Besetzung ist nur noch Norbert Graf übrig. Wie beeinflussen Tänzer Ihre Choreographien?

Nun ja. Ich komme schon mit sehr vielen fertigen Ideen in die Probe. Wenn die Corpstänzer diese dann nicht so ausführen, wie ich es mir vorstelle, tausche ich sie aus. Nur mit den Solisten ist die Zusammenarbeit enger. Vor allem, wenn Spitzentanz im Spiel ist. Ich komme nun mal aus dem Modern Dance und habe mit Spitzenschuhen nicht so intensive Erfahrung. Da muss ich schon mit den Tänzern absprechen, was möglich ist. Jetzt, bei „Chamber Symphony“ bin ich aber sehr froh, dass ich Norbert Graf habe. Er versteht die Musik von John Adams, und auch meine Körpersprache. Außerdem sieht er toll aus.

Wie haben Sie eigentlich den Spitzenschuh entdeckt?

Das war 1984, als ich „Cascade“ für das Pacific North West Ballet in Seattle machte. Ein paar Tänzerinnen überredeten mich trotz meines immensen Widerstands, einige Variationen auf Spitze auszuprobieren. Das Ergebnis gefiel mir – also wollte ich fortan den Spitzentanz nicht mehr ausschließen. Auf Spitze sind schärfere, klarere Akzente möglich. Außerdem will ich nicht gegen die größten Kompanien der Welt arbeiten, wo nun mal Spitze getanzt wird.

Sie choreographieren seit 1963. Hat sich seit Ihren Anfängen beim Judson Dance Theatre Ihr Stil ein wenig verändert?

Eigentlich gar nicht. Ich bin immer noch postmoderne Minimalistin, arbeite immer noch mit Gegenläufigkeit, Kontrapunkten und Wiederholungen. Ich bin keine Erzählerin. Mir kommt es alleine auf die emotionale Präsenz auf der Bühne an – da gibt es keinen großen intellektuellen Hintergrund, der sich ändern könnte. Das Einzige, was sich ändert, ist die Musik. Früher gab es für mich nur zeitgenössische Komponisten: John Adams, Steve Reich, Philip Glass… Heute habe ich glücklicherweise auch die Musik des Barock und der neueren Klassik entdeckt. Zurzeit bin ich mit Strawinskys Psalm-Sinfonie für Windinstrumente beschäftigt.

Erkennen Sie dennoch wichtige Wendepunkte in Ihrer schöpferischen Laufbahn?

Sicher. Die Periode mit der Judson Company war wichtig. Damals haben wir ja nicht nur ohne Musik, sondern komplett ohne tänzerisches Bewegungsvokabular getanzt. Das muss man sich mal vorstellen! Auch die Zusammenarbeit mit Philip Glass für „Einstein on the beach“ war eine Revolution, weil ich dabei erstmals mit zeitgenössischen, bildenden Künstlern zusammengekommen bin. Ansonsten war die wichtigste Wende wohl, als freie Choreographin, ohne feste Kompanie zu arbeiten.

Ihre eigene Kompanie trommeln Sie auch nur unregelmäßig bei Gelegenheit zusammen. Offenbar lieben Sie die Freiheit.

Hauptsächlich arbeite ich deshalb frei, weil es in den USA so schwierig ist, eine Kompanie am Leben zu halten. Ständig geht es um Geldbeschaffung, das demotiviert. Und es wird schlimmer. In den Staaten herrscht zurzeit eine richtige kulturelle Depression, viele Ideen bleiben unverwirklicht. In Europa dagegen lieben die Leute Tanz, man gibt Geld dafür aus. Wunderbar. Vieles, was ich hier choreographiert habe, ist in den Staaten nie gezeigt worden.

Und wie kommt Ihre Familie mit Ihren vielen Reisen klar?

Meine Familie sind meine Schwester, mein Bruder und deren Kinder. Ich besuche sie, so oft es geht, und wir feiern Weihnachten, Ostern und andere Feiertage gemeinsam. Ansonsten bin ich Single. Unter anderem auch deshalb, weil mein von Reisen geprägter Lebensstil sich nicht mit einer Partnerschaft verträgt. Aber ich habe so viele Freunde und kenne so viele Künstler, dass mir die Inspiration nie ausgeht.

Bekommt das Staatsballett also eines Tages wieder ein neues Stück von Ihnen?

Ich habe doch erst 2001 „Händel/Corelli“ für München choreographiert. Das ist noch nicht lange her. Das Solo, das ich darin für Judith Turos gemacht habe, war im Ausland sehr erfolgreich – Michail Baryshnikow wollte es ebenfalls tanzen. Erst soll man doch dieses Stück noch mal ins Theater bringen, bevor wieder was Neues kommt.

Frau Childs, vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare

Noch keine Beiträge