Im tollkühnen Crossover zwischen den Gattungen

Egon Madsen, Eric Gauthier und Christian Spuck mit „Don Q“ im Theaterhaus

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Stuttgart, 06/09/2007

Don wer? Natürlich Quijote, El ingenioso Hidalgo de la Mancha, Ritter von der traurigen Gestalt, der seit 1600 in vielerlei Metamorphosen durch die Welt geistert – als Romanheld, auf dem Theater als Oper, Ballett, Musical und Schauspiel, im Film, in der Malerei und Grafik. Und nun also auch als „Eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ auf der Bühne des Theaterhauses Stuttgart, koproduziert mit dem Grand Théâtre de Luxembourg in Kooperation mit dem Stuttgarter Ballett zum 80. Geburtstag von John Cranko. Gefeiert vom Publikum mit donnerndem Applaus – sozusagen als Auftakt der Cranko-Jubiläumsfestivitäten. Und Cranko, unser lokaler Don John – hätte er sich wohl bei dieser Gelegenheit daran erinnert, wie er selbst als junger Spund 1956 ausgebrochen war aus dem Establishment des damals noch nicht Royal, sondern Sadler‘s Wells Ballet, um sich im Off der Londoner Theaterszene mit seiner Kabarett-Revue „Cranks“ im kühnen Sprung über alle Gattungsgrenzen hinweg zu setzen, kein Postmoderner, sondern ein Pionier des Crossover?

Und so vermischen sich in dieser Produktion Tanz, Pantomime, Schauspiel und Show wie die musikalischen Genres zwischen Minkus, Schubert, Schnittke und Pop, grüßt Cervantes von fern (sehr fern) via Anouilh und Max Frisch (das Programmheft beruft sich sogar auf Beckett). Vor allem aber auch die Generationen von Senioren und Youngsters. Und mit ihnen mischen sich die Ebenen von Realität und Traum, von Alltagsbanalität und utopischem Ideal – von heldisch posierendem Machismo und herzenswarmer Zärtlichkeit. Und auch die Grenzen zwischen den Geschlechtern verfließen, wenn Dulcinea als Transe auftritt. Und nicht zuletzt die Zeiten, wenn Egon Madsen, einer der Gründerväter des Stuttgarter Balletts aus der Cranko-Ära, kumpelhaft an der Seite von Eric Gauthier auftritt, dem Rock-Repräsentanten der Kompanie mit eigener Band.

Wer sehnt sich hier nach wem – der Senior nach den Sprüngen des Luftikus von heute, oder der Disco-Fan nach der Weisheit und Erfahrung des Vaters? Es ist der tollkühne Mix, der den Reiz dieser Produktion ausmacht. In gewisser Weise treffen sich hier ein Delegierter der ersten Kompanie des Nederlands Dans Theaters mit einem Abgesandten des nicht mehr existierenden Nederlands Dans Theater III. Wobei Spuck als koordinierender Regisseur und Choreograf tief in die Trickkiste des Theaters greift und beweist, wie er sich in deren Mitteln auskennt – bis hin zu dem ferngesteuerten Windmühlen-Modell (das hoffentlich nicht aus China importiert wurde).

Eins allerdings fehlt diesem hand- und fußfesten, auch vor Grimassenschneiderei nicht zurückschreckenden siebzigminütigen Spektakel: jegliche poetische Verklärung – am ehesten meint man sie noch im schalkhaften Aufblitzen der Augen von Madsen zu erhaschen. Doch schön wäre es gewesen, wenn Spuck ihr mehr Raum zugestanden hätte, nicht zuletzt als Kontrastelement zu den permanenten Turbulenzen der Aktionen. Wie wär‘s denn mit der Fortsetzung eines „Don J.“ – mit Madsen als Don Giovanni und Gauthier als Leporello – vielleicht im Repertoire der geplanten Gauthier-Kompanie? Übrigens gibt es für die Madsen-Fans seit neuestem ein Souvenir: die grade bei Arthaus Musik erschienene DVD „Nederlands Dans Theater celebrates Jiří Kylián“ mit drei seiner Ballette, in deren finalem „Birth-Day“ Egon Madsen zusammen mit vier anderen Tänzern des NDT III auftritt. Darauf soll hier noch ausführlicher in einem späteren kj eingegangen werden.

 

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