Im Fantasyland des Tango

Das Kurt Weill Fest eröffnet mit Gregor Seyfferts „Tango Palace“

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Dessau, 02/03/2007

Hundertsieben Jahre nach seiner Geburt scheint Kurt Weill in Dessau tatsächlich angekommen zu sein. Dessau ist stolz auf ihn, und so sind denn 90 % der verfügbaren Karten für die 35 Veranstaltungen am Eröffnungstag bereits im Vorverkauf weggegangen. Das Motto dieses 15. Festivals heißt „Weill tanzt“, und das scheint etwas gewagt, denn Weill hat bekanntlich nur ein einziges „richtiges“ Ballett geschrieben: „Die sieben Todsünden“. Aber die stehen diesmal gar nicht auf dem Programm. Doch tanzt – nicht das ganze, aber doch ein großer Teil seines Oeuvre, das heißt, es wimmelt nur so von speziell Foxtrott und Tango-Rhythmen. Und so gab es denn zum Auftakt im Großen Haus des Anhaltischen Theaters „Tango Palast – Weill & Tango – Eine Passion“, eine Tanztheater-Produktion der Gregor Seyffert Compagnie Dessau: zwei Stunden nonstop Tangos (in allen Varianten). Sie wurde ein Bombenerfolg. Man ging regelrecht tango-besoffen aus dem Haus.

In drei Teilen, beginnend mit Weills „Tango-Ballade“ und endend mit Weills „Youkali“-Lied – aber auch mit Tangos mehrerer anderen Komponisten –, hatte sich Seyffert vorgenommen, einen weltumspannenden Streifzug durch achtzig Jahre Tangogeschichte zu präsentieren – bis zu Piazzolla und seinen heutigen Kollegen. Teils in Originalversion, teils in Bearbeitungen von Lothar Hensel, in kleinen Combos mit und ohne Bandoneon in großer Orchesterbesetzung mit der fulminant unter der Leitung des Dessauer GMD Golo Berg aufspielenden Anhaltischen Philharmonie Dessau – teils live musiziert, teils als Einspielungen elektronisch aufgepeppt.

Wer ein historisches Seminar über den Ursprung und den Siegeszug des Tangos erwartet hatte, sah sich getäuscht. Tatsächlich überraschte der vollkommene Verzicht auf den soziokulturellen Hintergrund: den betonte Roland Petits Kurt-Weill-Ballett in der Berliner Staatsoper wesentlich stärker. Hier gab es keinerlei Reminiszenzen an George Grosz, den Blauen Engel, an Heinrich Mann und Anita Berber. Ebenso wenig wie irgendwelche Verweise auf die Favelas von Buenos Aires oder die heutige Tango-Manie in den Kapitalen der Welt. Da hätte Seyffert sicher von der Mitarbeit eines Johannes Kresnik profitiert. Denn die völlige Kritiklosigkeit dieser Spaß-Show blieb am Ende doch etwas enttäuschend.

Was Seyffert und seine zwölf Tänzer stattdessen boten, war eine hinreißende Fantasy-Revue mit lauter skurrilen, schrillen, schrägen Typen, einer durchgeknallter als der andere, mit ihm selbst in der Hauptrolle eines melancholischen Strizzis, teils Oberkellner, teils Strippenzieher, teils Harlekin. Alle total gaga – eine moderne Fortschreibung des Dadaismus (und ein bisschen an die tänzerisch ganz anders gearteten Ambitionen des Bauhauses anknüpfend). In einem rasanten Tempo, mit vielen Tango-Elemente gewürzt, aber nicht ausschließlich. Sehr fantasievoll, niemals langweilend und ausgesprochen spritzig choreografiert, ganz entscheidend mitbestimmt durch die total übergeschnappten Kostüme von Gabriele Kortmann und im dritten Teil auch durch die abwechslungsreich arrangierten Kuben des Dekors (Seyffert, mit Matthias Wulff), hier auch mit den Filmprojektionen von Steffen Fleischer, die regelrechte Vexierbilder projizierten (Curuba Media Dessau).

Alles total turbulent und von den Gregor Seyffert Dancers mit sichtlichem und ansteckendem Gusto serviert. Eine fabelhafte Show wie eine moderne Commedia dell'arte – sozusagen eine Commedia del Tango. Und doch bleibt ein Rest und ein etwas fader Nachgeschmack (und der hat nicht mit dem Fado zu tun). Im Ballett-Marathon des Tangos haben jedenfalls Van Manens „Fünf Tangos“ die besseren Überlebenschancen.

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