Daniel Goldins neue Choreografie

„Solo, Erwartung und Metamorphose“

Münster, 03/12/2007

Daniel Goldin ist Kult in Münster. Das zeigen nicht nur die euphorischen Ovationen bei den Premieren, sobald der Argentinier auf die Bühne kommt, sondern auch lautstarker, meist minutenlanger Applaus nach jeder Vorstellung. Eine vergleichsweise kleine Fan-Gemeinde hat Goldin hinter sich, irgendwie aber auch die ganze Stadt. Denn hier fand der Folkwang-Absolvent einen überschaubaren Lebensraum, in dem er sich – trotz mancher Drohgebährden aus dem Rathaus, den Tanz an den Städtischen Bühnen „wegzusparen“ - weitgehend unbehelligt künstlerisch entwickeln konnte. Er gehört zu den wenigen Choreografen, die ein Repertoire aufbauen können. Einige wenige Male kam es in den bisher elf Spielzeiten zu sparten-übergreifenden Projekten – am erfolgreichsten mit dem Schauspiel bei Heiner Müllers „Hamletmaschine“ und jüngst mit dem Orchester für einen „Satie-Abend“ voll farbenprächtiger Theatralik mit Witz und Esprit. Im Allgemeinen aber zeichnen Goldin und seine kleine Truppe von weniger als einem Dutzend Tänzerinnen und Tänzern aus fast ebenso vielen Nationen allein für den Tanz verantwortlich.

In dieser Spielzeit stehen Wiederaufnahmen von vier der besten Stücke auf dem Plan – Goldins Emigrantenstück „Papirene Kinder“, seine weltberühmte Folge von Duetten „Wegerzählungen“, sein semi-biografisches Stück über die Kafka-Vertraute Milena Jesenská „Tagelang und Nächtelang“ und das grandiose Felix-Nußbaum-Stück „In Öl und Nebel“ - allesamt Garanten für volle Häuser. Zum Glück. Denn die einzige Uraufführung dieser Spielzeit dürfte schnell vergessen sein – es sei denn, Goldin unterzöge sie einer gründlichen Revision – inklusive des wenig geglückten Titels „Solo, Erwartung und Metamorphose“. Eine mehr oder minder philosophische Reflexion über den Verlauf des Lebens sollte es werden: allein beginnt das Leben, voller Erwartung tritt der Heranwachsende in die Welt, um sich schließlich vielfach zu verändern, an Situationen und Mitmenschen zu orientieren und anzupassen.

Zu Beginn scheint der Japaner Tsutomu Ozeki dieser Mensch zu sein. Wie schlafwandelnd, mit gebärdensprach-ähnlichen Gesten bewegt er sich durch den Raum – einen kostbar holzvertäfelten runden Gartensalon mit drei schlanken Terrassentüren und, wie sich später zeigt, zwei Tapetentüren, durch die Gestalten mit weißen Masken gespenstisch huschen und geistern gleich Phantasmagorien des Einsamen. Eine zweite Gestalt hat mit dem Mann das Zimmer betreten. Sie (Eun-Sik Park) trägt schwarze Herrenkleider über dem Arm, nagelt den Anzug an der Wand fest, stülpt den Hut auf den obersten Nagel, stellt ein Paar Schuhe unter die Hosenbeine und versucht immer wieder, sich in die Jacke zu zwängen. Mitten in dem Spuk wird’s plötzlich real: durch den dunklen Zuschauerraum poltert eine Dame (Nora Ronge) herein, nimmt den Raum in Beschlag, ohne die Geisterwelt, die sich hier lautlos bewegt und drängelt wahrzunehmen. Bandoneonklänge, Walzer von Schellackplatten klingen im Hintergrund.

Irgendwann endet der Spuk so abrupt und rätselhaft wie er 75 Minuten zuvor begann. Was Goldins Stücke oft mühsam macht ist der Umstand, dass er keine Charaktere choreografiert, meist keine wirklichen Geschichten erzählt, sondern auf Atmosphäre und Emotionen setzt. In Matthias Dietrich, seinem langjährigen Bühnenbildner und künstlerischen Mitarbeiter, der hochsensiblen Kostümbildnerin Gaby Sogl und Lichtdesigner Reinhard Hubert hat er Mitstreiter, die dieses gewisse Etwas des Goldin-Flairs kongenial mitgestalten. Diesmal wurde leider keine runde Sache draus. Aus der Idee wuchs keine Choreographie, die dem Zuschauer genug an die Hand gäbe, seine eigenen Fantasien spielen zu lassen.


Nächste Vorstellungen im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster: 5., 7., 8. und 12. Dezember – Karten: 0251-5909100.

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