Und hätte so gut Nummer 1699 sein können

Betrachtungen eines Nicht-Teilnehmers über den Tanzkongress Deutschland in Berlin

oe
Berlin, 26/04/2006

So viel Tanz war nie zuvor (in Deutschland)! Oder doch zumindest Reden über den Tanz. Das begann Mitte Februar mit der Tanzpreis-Gala in Essen, gefolgt zwei Wochen später von der Tanzplattform Deutschland in Stuttgart. Im März formierte sich dann in Berlin die Gründerversammlung des Trägervereins der Ständigen Konferenz Tanz als Zusammenschluss der führenden Verbände und Institutionen des Profi-Tanzes, das sich als bundesweites Netzwerk der Gesprächsplattform „Stimme des Tanzes“ für die Politik versteht.

Und nun also zum post-österlichen April-Wochenende, abermals in Berlin, der Paukenschlag mit dem Tanzkongress Deutschland, zu dem 1698 Künstler, Wissenschaftler, Veranstalter, Pädagogen, Mediziner und Journalisten zusammengeströmt waren, um vier Tage lang über „Wissen in Bewegung“ zu diskutieren. Und oe, Autor des berüchtigten Internet-Journals, war nicht dabei, sondern zog es vor, bei dem herrlichen Frühlingswetter in den Alpen spazieren zu gehen. Hat er etwas versäumt? Etwa die Auftaktveranstaltung mit dem „N.N.N.N.“-Gastspiel der Frankfurter Forsythe-Equipe? Die hatte er freilich schon bei früherer Gelegenheit gesehen.

Ganz gewiss das „Solo für Malakhov“, das Gipfeltreffen der beiden Berliner Tanzstars, des Staatsballett-Intendanten (ein „Jahrhunderttänzer“? Eher doch ein Jahrtausend-Tänzer, hat er doch bereits am Ende des zweiten Jahrtausends getanzt und tanzt nun bereits im dritten – das soll ihm ein Vestris, Nijinsky, Nurejew oder Baryschnikow erst einmal nachmachen!) und der Lady Sasha aus der Sophienstraße in Berlin Mitte. Da handelte es sich immerhin um die Multikulti-Tanzhochzeit des klassisch-akademischen und des zeitgenössischen Tanzes. Eine Auswahl der Berichte in den Tageszeitungen über diesen Eheschluss „auf Augenhöhe“ lässt allerdings vermuten, dass sich die vermeintliche Liebesheirat bei ihrer Premiere doch eher als ein Theoriekonstrukt erwies.

Wie denn überhaupt all diese Vorträge, Debatten, Diskussionen, Symposien, Analysen, soziologischen, neurologischen, psychoanalytischen, semantischen, politischen, kulturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Annäherungen und Vereinnahmungsversuche des Tanzes für viele unter den Ausübenden und Liebhabern der terpsichoreischen Kunst einen Hauch von leb- und blutloser Gehirnakrobatik an sich gehabt zu haben scheinen – weit entfernt von der vitalen Realität, wie sie auf den Bühnen und im Off der Werkstattveranstaltungen Tag für Tag praktiziert wird.

Die fand an diesem Wochenende eher außerhalb Spreeathens statt – etwa in München bei der Ballettwoche des Bayerischen Staatsballetts, in Wolfsburg, wo das movimentos-Festival seinen Anfang nahm, oder in Nürnberg, wo Daniela Kurz Mozart als Vorläufer von Kurt Schwitters und Ernst Jandl entdeckte – ganz ohne wissenschaftliche Ambition, sondern als theatralische tänzerische Elementarkraft.

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