Sechs Fenster zu Mozart

Wiederaufnahme von Neumeiers „Fenster zu Mozart“

Hamburg, 21/05/2006

Mit der Wiederaufnahme seines vor 15 Jahren (damals zum 200. Todestag des Komponisten) geöffneten „Fenster zu Mozart“ erwies nun auch Hamburgs Ballettintendant John Neumeier dem „Wunderkind“ seine Reverenz zum 250. Geburtstag. Er tut das auf die ihm eigene tiefgründige Art und liefert ein vielschichtiges Psychogramm des Komponisten ab, das an Aktualität und Faszination seit der letzten Vorstellung in Hamburg 1992 nichts eingebüßt hat. Er wolle „keine absolute Vision des Genies und Menschen Mozart, keine Geschichte, keine Geschichten“ zeigen, sagt Neumeier selbst über sein Werk, sondern „Bilder, chronologisch erzählt“. Phasen aus Mozarts Leben, „Stationen, Zustände inneren und äußeren Seins, Augenblicke.“ Vielen schien damals – und manchen auch heute noch – dieser Blick auf Mozart zu simpel: Die Choreographie biete zu wenig Neues („alles plätschert schön dahin“, die Annäherung an Mozart „auf hohem Niveau gescheitert“, schreibt z.B. das Hamburger Abendblatt), der Tanz könne der Musik nicht das Wasser reichen.

Aber gerade jetzt, mit diesem Abstand zum Beginn der neunziger Jahre (und seither war das Stück in Hamburg nicht mehr zu sehen), zeigt sich, wie treffend Neumeier mit seinen sechs Bildern die Gesamtpersönlichkeit Mozarts umrissen hat. Denn jedes der sechs Fenster – wunderbar ruhig und zurückhaltend das vorwiegend in hellen Blautönen gehaltene Bühnenbild und die Kostüme von Klaus Hellenstein – und vor allem die kontrastierend ausgewählte Musik anderer Komponisten, die sich intensiv mit Mozart beschäftigt haben, ermöglicht einen anderen Zugang zu der vielschichtigen Künstlerpersönlichkeit.

Und je häufiger man das Ballett anschaut, desto mehr lässt sich dabei entdecken – wie immer bei Neumeier, dessen Stücke beim ersten Sehen fast nie vollumfänglich zu erfassen sind. Die sechs Buchstaben des Namens MOZART stehen für sechs Bilder und unterschiedliche Lebensphasen: M steht für „Musik“ – edel und innig zugleich verkörpert von Laura Cazzaniga und Otto Bubenicek. In den Pas de Deux der beiden findet Neumeier zeitlos schöne Bewegungsformen – so wie Mozarts Musik (hier das Klavierkonzert B-Dur) zeitlos ist und bleibt. Das O bedeutet „Ohn Unterlass auf Reisen“: Das unstete, hektische Durcheinander, aber auch die Freude an der Veränderung, die nie versiegende Lust auf Neues, dafür steht die Begegnung des jungen Wolfgangerl mit dem Bäsle. Und Peter Dingle macht daraus gemeinsam mit Barbara Kohoutkova (die manchmal ein bisschen übertrieben albern rumkreischen muss) ein übermütiges Fest voller Lebensfreude – perfekt ergänzt durch Alfred Schnittkes augenzwinkernde „Moz-Art à la Haydn“ und „Moz-Art für sechs Instrumente“.

Im Z („zum ersten Mal frei, liebend, selbstbestimmt“) begegnet Wolfgang Amadeus der Sängerin Aloisia Weber, seiner großen Liebe. Max Regers Variation und Fuge über ein Thema von Mozart passt dazu kongenial. Wie Thiago Bordin das zarte, später auch drängende, ungestüme Werben des jungen Mannes um die Angebetete mit glühenden Augen und bebendem Herzen umsetzt, ohne je schwülstig zu erscheinen, wie Hélène Bouchet als Aloisia ihn mal geschmeichelt erhört, mal hochnäsig-divenhaft abblitzen lässt, das ist an Delikatesse im ganzen Stück ziemlich unerreicht. Bodenständiger und ganz diesseitig dann die Begegnung und Ehe mit Constanze, Aloisias Schwester – dafür steht das A: „als freier Künstler“, die Zeit des Erwachsenseins. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko zeigen diese Phase in ruhiger Gelassenheit, wobei allerdings ganz klar ist, dass Constanze ihr Wolferl wohl zu steuern weiß und er ihr nur zu gerne folgt.

R schließlich dann der reife Mozart (Lloyd Riggins), das Requiem. Ein grauer Bote überbringt den Auftrag dazu. Dieses Bild ist das einzige, bei dem Neumeier etwas überzeichnet: Zu trist, zu sinnentleert, depressiv und vor allem zu alt erscheint dieser Mozart zur aufwühlenden Musik von Wolfgang von Schweinitz‘ „Variationen über ein Thema von Mozart“. Noch einmal scheinen hier alle Lebensphasen zusammen auf, und zum „Ave verum corpus“ von Mozart selbst wird der Leichnam dann von der Bühne getragen. Zuvor aber schreitet „die Musik“ über den Todesmüden hinweg ins Unvergängliche.

Und tatsächlich hat ja Mozarts Musik etwas Ewiges und ewig Junges. Und so ist es nur konsequent, dass Neumeier den Abend mit der jubelnden, heiteren Jupiter-Sinfonie beschließt – und dabei einmal mehr seine Qualität als Meister der „großen Form“ in den Vordergrund stellt. Hat das Corps als Hofgesellschaft im ersten Teil des Stücks eher wenig zu tun, kann es jetzt umso mehr aufdrehen. Sauber „geputzt“ (ein bisschen Arbeit wartet da noch auf die Hamburger Ballettmeister*innen) ist es ein purer Augenschmaus, wenn zwei Drittel der Kompanie in ständig wechselnden, aber trotzdem wohl geordneten Variationen über die Bühne fegen, wenn sich Solisten, Paare und Ensemble zu verschiedensten Bewegungsbildern finden. Und spätestens dann wird deutlich, dass Neumeiers Werk der Musik durchaus ebenbürtig ist. Bei der Premiere geriet das Hamburger Publikum, vollkommen aus dem Häuschen und feierte den Ballett-Chef sowie seine Kompanie mit Standing Ovations – das will bei den eher schwer aus der Reserve zu lockenden Hamburgern etwas heißen.

 

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