Mozart und kein Ende

Die Bilanz des Jubiläumsjahres 2006

oe
Stuttgart, 27/12/2006

Mozart? War da was? Immerhin ein ganzes Jubiläumsjahr anlässlich der 250. Wiederkehr seines Geburtstags! Doch war es auch ein Mozart-Tanzjahr? Er selbst war ja bekanntlich ein leidenschaftlicher, geradezu besessener Tänzer. Jedenfalls hat es eine Reihe von Mozart-Balletten zwischen Braunschweig und Zürich gegeben, auch im Fernsehen (Bigonzettis „WAM“ via 3sat) sowie jede Menge ge-, beziehungsweise vertanzte „Requiems“ – und in New York haben sie im Sommer die „Mozart Dances“ von Mark Morris als Meisterwerk gefeiert (die Wiener Kritik war dann beim Gastspiel der Amerikaner allerdings weniger begeistert). Ob wohl eine dieser Novitäten, made in 2006, beim nächsten Mozart-Jubiläum, 2041, anlässlich des 250. Todestages, noch auf dem Spielplan stehen wird?

Die älteste noch im Repertoire befindliche Mozart-Choreografie ist Balanchines „Mozartiana“ aus dem Jahr 1933 – von Balanchine mehrfach überarbeitet und zuletzt in der Fassung von 1981 beim Leipziger Ballett zu sehen (nicht unbedingt eine Offenbarung). Gut gehalten hat sich Balanchines „Divertimento Nr. 15“ (ursprünglicher Titel „Caracole“), Jahrgang 1953, das ins Repertoire zahlreicher Kompanien übernommen worden ist. Mein persönlicher Favorit unter Balanchines Mozart-Balletten ist die „Symphonie concertante“ von 1947, die das American Ballet für sein Londoner Gastspiel im Februar bei Sadler‘s Wells ankündigt. Stuttgart hält wohl noch in seinem Magazin John Crankos „Konzert für Flöte und Harfe“ von 1966 bereit – ein Publikumshit, mir von jeher zu affektiert mit seinem notenpedantischen Lipizzaner-Getrippel.

Wiederholt hat sich John Neumeier mit Mozart auseinandergesetzt – für mich weniger glücklich in seinen rein konzertanten Choreografien wie „Mozart 338“ und der „Jupiter Sinfonie“, überzeugender in seinen literarisch, beziehungsweise biografisch inspirierten Balletten „Mozart und Themen aus ‚Wie es euch gefällt‘“ (1985) und „Fenster zu MOZART“ (1991). Doch sein meistaufgeführtes Mozart-Ballett ist wohl das „Requiem“ mit den vorangestellten Gregorianischen Chorälen. Interessant bei Neumeier finde ich, wie er es liebt, Mozart mit anderen Komponisten zu verknüpfen (zum Beispiel im „Fenster“ u.a. mit Reger und Schnittke – und eben die Gregorianischen Choräle vor dem „Requiem“).

Viel ist nicht haften geblieben an Mozart-Balletten aus meiner über fünfzigjährigen Erfahrungspraxis. Wenn ich mir einen Mozart-Jubiläums-Galaabend hätte bestellen können, wie hätte der wohl ausgesehen? Den Beginn hätte sicher Balanchines „Symphonie concertante“ gemacht, gefolgt von einem Ausschnitt aus Neumeiers „Mozart und Themen aus ‚Wie es euch gefällt‘“ – keinesfalls hätte Preljocajs „Le Parc“ fehlen dürfen (das erotischste aller mir bekannten Mozart-Ballette) und zum Schluss hätte es dann Uwe Scholzens „Jeunehomme-Konzert“ gegeben. Ein Mozart-Ballett von der Qualität, wie es Robbins in seinen „Dances at a Gathering“ für Chopin geschaffen hat, existiert leider nicht! Scholz zwingt mich noch zu einer Nachbemerkung. In ihrem Beitrag „Wenn Diener Menuette tanzen – oder: Tanz und Sozialverhalten in Mozarts Musik“ von Silke Leopold, erschienen im Essay-Band zur Wiener Mozartausstellung „Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts“ (Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006), verweist die Autorin darauf, dass das sogenannte „Jeunehomme-Konzert“, KV 281, aus dem Jahr 1777 inzwischen umbenannt werden muss. Es müsste eigentlich „Jenamy-Konzert“ heißen, „seit Michael Lorenz vor zwei Jahren die Pianistin Louise Victoire Jenamy, die Tochter des Ballettmeisters Jean-George(s) Noverre, als Widmungsträgerin ausmachte.“

Dazu siehe auch Michael Lorenz‘ – „Mademoiselle Jeunehomme – Zur Lösung eines Mozart-Rätsels“ im gleichen Band. Darüber hinaus enthält der voluminöse Band noch einen dritten überaus lesenswerten Beitrag: „Sposi, Amici, al Ballo, al Gioco ... Zur Soziologie des Gesellschaftstanzes auf der Bühne und im Ballsaal“ von Reingard Witzmann – das ist ein Zitat aus dem Finale von „Le nozze di Figaro“, mit dem alle Beteiligten zum gemeinsamen Tanz aufgerufen werden: „Geliebte, Freunde, zum Tanz, zum Spiel“. Zusammen bilden die insgesamt 96 (!!!) Beiträge eine derartige Fülle von Informationen über Mozart und den Tanz seiner Zeit, wie ich sie bisher noch nirgends so komprimiert gefunden habe. Und wenn es auch unrealistisch wäre, zu empfehlen, jetzt in die Buchhandlungen zu eilen und den ungeheuer umfangreichen und entsprechend kiloschweren und teuren Band zu bestellen: Wer immer in Zukunft mit Mozart und dem Tanz zu tun hat, wird nicht umhinkommen, zur Kenntnis zu nehmen, was die drei Autoren darüber zu sagen haben. Und wozu gibt es schließlich Bibliotheken?

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