Maurice Béjarts „Zarathustra - Das Lied vom Tanz“ bei den Festspielen

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Ludwigshafen, 22/11/2006

Sollte mich wundern, wenn Maurice Béjarts „Zarathustra“ nicht eines Tages zu seinem Testament erklärt wird! Immerhin wird der Meister aus Lausanne in weniger als zwei Monaten achtzig, und sein „Zarathustra – Das Lied vom Tanz“, ein zweieinhalbstündiges Spektakel aus Tanz, Musik und Sprache, mutet wie die Summe seines sechzigjährigen Künstlerlebens an. Bei den Festspielen Ludwigshafen im Theater im Pfalzbau gelangte es jetzt zur deutschen Erstaufführung – ein Panorama seines Oeuvres, mit zahllosen Zitaten aus einem halben Jahrhundert, eine theatralische Reise um die ganze Welt, wirklich die ganze, bis nach Persien, Japan und zu den Aborigines – und doch immer wieder zurückkehrend zu ihrem Ausgangspunkt, zu Richard Wagner und dessen Apologeten Friedrich Nietzsche. Ein Prophet, der die Erlösung der Welt im Tanz verkündet. Denn Nietzsches „Übermensch“ ist für ihn der Tänzer schlechthin, der die Welt und selbst Gott überwindet. Alle Menschen werden tanzend zu Brüdern – da geht Béjart noch über Schiller und Beethoven hinaus!

Und er führt es uns vor in zehn grandiosen Bildern, angesagt von einem Nietzsche, den sein engster Mitarbeiter Gil Roman verkörpert, selbst ein ehemaliger Tänzer, der nicht altert, weil er vom Geist des Tanzes besessen ist. Aus dem „Zarathustra“ und aus „Ecce Homo“ zitierend, beschwört er sie herauf, den ewig jungen Religionsstifter Zarathustra aus dem Iran, Tristan und Isolde, die Nacht und die Erde, die Komödianten des venezianischen Karnevals, die Elemente des Kosmos, die Krieger und die den Krieg lachend besiegen, Adler und Schlange, Katzen und die heiligen Kühe, die Tangotänzer aus Argentinien, die Schattenboxer aus Nippon, die Rock’n‘Roller aus Memphis, die Perkussionisten aus dem Fernen Osten ...

Und dazu erklingt Musik, immer wieder Wagner, aber auch Bach und Beethoven, Vivaldi und Offenbach, Hadjidakis und Flamenco, prasselt Cardas-Gestampfe, schluchzen Hawai-Gitarren – und nur einer fehlt: Richard Strauss mit seinem „Also sprach Zarathustra“. Und noch einer: der abtrünnige Nietzsche (der glühende Wagner-Verehrer ist noch mit einem Klavierstück vertreten) des „Nietzsche contra Wagner“, fünf Jahre nach dem Tod des Meisters von Bayeuth.

Und alles wird ihm zu Tanz – in jenem Mix, der auf der Basis der Danse d‘école sich alles einverleibt und anverwandelt, was ihm geeignet erscheint, aus allen Teilen der Welt, bis zu indischen Kathakali und japanischen Kabuki. Und die vierzehn Tänzerinnen und einundzwanzig Tänzer des Béjart Ballet Lausanne, dazu die ungezählten Schüler der Ecole Atelier Rudra Béjart Lausanne tanzen das mit einem so über die Rampe schwappenden Enthusiasmus, mit einer so ungebremsten Jugendlichkeit und in einer so überwältigenden Schönheit, dass man zumindest zweieinhalb Stunden lang glaubt, dass die Welt von allen Übeln erlöst werden könnte, wenn wir nur alle Tänzer wären. Und der das alles bewirkt hat, ist ein Mann, der am 1. Januar achtzig Jahre alt wird und der nur noch gestützt auf eine helfende Hand sich gerade noch am Bühnenrand festhält und ein wenig müde winkend den stürmischen Beifall des Publikums entgegennimmt.

 

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