Die Frau im Panzer

Louise Lecavalier bei Steps in Zürich

Zürich, 16/05/2006

Scheu blickt sie ins Publikum, fast ein wenig schroff senkt sie den Kopf. Ein verlegenes Lachen, ein kurzes Winken, und schon ist sie wieder in den Kulissen verschwunden, ganz so, als ob sie zum ersten Mal im Rampenlicht stehen würde: Louise Lecavalier, kanadische Startänzerin, über zwei Jahrzehnte das Aushängeschild des Ensembles „La La La Human Steps“. Heute sorgt sie mit ihrem eigenen Namen für volle Häuser, indem sie eigens für sie konzipierte Choreografien tanzt, so wie derzeit auf dem Tanzfestival „Steps“, auf dem sie gleich an mehreren Orten in der ganzen Schweiz auftritt.

Es ist diese neue Aura der Zerbrechlichkeit, der unschuldigen Getroffenheit, die sie in diesen Produktionen umgibt. Das ewige Mädchen Louise, das nicht so recht weiß, was es von den Menschen und der Welt da draußen zu erwarten hat und sich schüchtern zurückhält. Eine skeptische, weil zutiefst verletzliche Frau auch, die die Erfahrung gelehrt hat, sich in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen und aus der sicheren Distanz heraus zu agieren. Man mag jetzt darüber spekulieren, ob es nur eine Kunst der Selbststilisierung und Vermarktung ist, die Louise Lecavalier recht erfolgreich zelebriert. Durch ihr neuestes Programm zieht sich das Thema Fragilität wie ein roter Faden. So durch das zweiteilige „Cobalt Rouge“ des kanadischen Choreografen Tedd Robinson, in dem mit geflüsterten Gedichtsequenzen, schneller elektronischer Musik aus der Konserve und den fragmentarischen Zuspielen eines Klarinettisten über das Leben an sich spekuliert wird. Schon das Entrée ist ein wahrer Blickfang: Lecavalier, kalkweiß geschminkt, steht in theatralischer Pose in einem schweren, faltenreichen Papierkleid, das sie wie ein Panzer umgibt – geradewegs so, als hätte sie eben ein Künstler aus Gips geformt. Daneben ein Tänzer im Kopfstand, dessen Kopf verborgen ist. Das hat System: Denn der Mann ist als Individuum gänzlich unwichtig, schlüpft unter den kleidernen Panzer, verlängert das Faltenmeer mal mit den Armen, mal mit den Beinen und lässt die anmutige Tänzerin zu einer unerreichbar starken, aber wie gelähmt wirkenden Überfrau, einer monsterhaften Medusa werden.

Erst als sich Lecavalier aus der weißen Stoffmasse herausgeschält hat, ändert sich das: In kleinen Hand- und Beinbewegungen diskutieren die beiden Protagonisten das Miteinander, verhaken sich, lassen sich auf den Boden, die Oberschenkel oder in die Ellbogen fallen. Lange Pausen im Tanzfluss wechseln mit eckigen, abrupten Landungen und Körperkontakten, gleich einem ständigen Ringen um Rechte und Grenzen. Kein Wunder, dass da Vertrautheit und Geborgenheit nur schwer aufkommen wollen. Erst ganz am Ende kündet eine ganz zarte und zugleich signifikante Geste von einer Annäherung.

Starke Bilder bei einer manchmal etwas unglücklichen Dramaturgie und kaum innovativem Tanzvokabular, das aber dank der ausdrucksstarken Louise Lecavalier in den Hintergrund tritt – das kennzeichnet auch das Solo „I is memory“ des Kanadiers Benoît Lachambre. Darin verkriecht sich Lecavalier in einen Jogginganzug mit ausgelatschten Turnschuhen und lässt ihn zu verfremdetem Vogelgezwitscher und futuristischer E-Musik tanzen: Kopf und Gesicht tief unter einer Kapuze verborgen, Beine, Knie und Arme schlangenartig verdreht, kippt der Anzug auf die Fußgelenke, wälzt sich wie eine Amphibie über den Boden und windet sich akrobatisch um eine Turnstange, während einzelne Gliedmaßen immer wieder ausrasten – ein kopf- und körperloses Etwas, das auch durch die Kleidung weder Form noch menschliche Züge annimmt. Ein Monster, das erst mit bedrohlichen Gesten auf das Publikum zusteuert, um kurz danach geifernd einzusacken.

Dass ein Wall aus Schutzmechanismen und extreme Isolation nur noch eine Selbstauflösung mit sich bringen und den Tanz vereiteln, versteht sich angesichts der drastischen Bilder von selbst. Denn der Tanz fußt nämlich auf einem Wechselspiel von Verletzlichkeit und Stärke, Gefühl und Ausdruck, Entblößen und Kaschieren, Innen und Außen. Genau die Kunst also, die Louise Lecavalier so vortrefflich zu beherrschen scheint.

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