Herzensergießungen einer japanischen Hofdame

Trisha Brown choreo-kalligrafiert Salvatore Sciarrinos „Da gelo a gelo“

oe
Schwetzingen, 25/05/2006

Japanische Kalligrafien sind „in“ auf dem Tanz- und Musiktheater. So jüngst von Daniela Kurz beim Gastspiel der Nürnberger mit „Im Auge des Kalligrafen“ bei der Tanzplattform Deutschland. So derzeit von Lin Hwai-Min mit seiner „Cursive“-Trilogie beim Berliner In Transit 06. Und nun auch bei der Uraufführung von Salvatore Sciarrinos „Kälte“ („Da gelo a gelo“), einer Uraufführung der Schwetzinger Festspiele als Koproduktion mit der Opéra National de Paris und dem Grand Théâtre de Genève in der Inszenierung von Trisha Brown.

Die Amerikanerin, Jahrgang 1936, bekannt geworden Mitte der sechziger Jahre als eine der Pionierinnen des Judson Church Dance Theatre Movement, hat sich in jüngster Zeit verstärkt dem Musiktheater zugewandt: Monteverdis „Orfeo“, Schuberts „Winterreise“ – auch ihre choreografische „M.O.“-Adaption von Bachs „Musikalischem Opfer“ hatten wir ja bei uns schon zu Gast. Und nun also als theatralische Hebamme von Sciarrino bei seiner dritten Schwetzinger Uraufführung – nach „Die tödliche Blume“ und „Macbeth“ – „Hundert Szenen mit 65 Gedichten“, beruhend auf dem Tagebuch der japanischen Poetin Izumi Shikibu, die ihre Aufzeichnungen vor ziemlich genau tausend Jahren verfasste. Darin geht es um ihre Beziehung mit dem Prinzen Atsumichi, die mit einem Skandal endete.

Das ist Poesie von sublimster Qualität, die meisten Gedichte in der strengen Form des Haiku, über die Liebe im Laufe der Jahreszeiten („Von Frost zu Frost“), eine Korrespondenz in Briefen. Als „Eine Geschichte ohne Geschichte“ (Sciarrino), bar jeden theatralischen Gehalts, vom Komponisten in ein musikalisches Gespinst aus lyrischer Textdeklamation und minimalisierten Klangabbreviaturen übersetzt – 110 pausenlose Minuten feinstes Gezirpe und Gezwitschere – Variationen über die Melancholie. „Ich bin traurig“, heißt es an einer Stelle, „aber niemand bemerkt es“. Voilà! Trisha Brown hat die monoton-monochrome Szenenfolge als streng japanisch stilisiertes Ritual auf die Bühne gebracht – angelehnt an das „No“-Theater. Es sind ästhetisch berückende Bilder, die einen so kalt lassen wie der deutsche Titel dieser Produktion.

Die beiden Protagonisten, die Hofdame und der Prinz, bedient von ihrem Personal, verharren meist statuarisch, sitzend, kniend, ausgestreckt auf dem Boden, eher selten auch stehend, legen zeremoniell ihre Gewänder an und ab und treten nur ausnahmsweise in Körperkontakt, wobei sich, nicht zuletzt dank der erlesenen Kostüme von Elizabeth Cannon, skulpturale Posen von sublimem Reiz ergeben. Minimale Gesten suggerieren Inhalte, die sich jeglicher Konkretisierung verweigern. Die knapp zwei Stunden dehnen sich zu einer kleinen Ewigkeit – die lange Verweildauer für mein mitteleuropäisch programmiertes Zeitbewusstsein zu – na ja: eben Langeweile. Wahrscheinlich bin ich zu abgestumpft für solche Feinheiten. Wenn schon Japan, dann doch lieber Balanchines „Bugaku“ (oder, um es nur zuzugeben: „Madama Butterfly“).

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