Experiment und Präzision

Drei Stücke von William Forsythe im Palais Garnier

Paris, 17/02/2006

Das Spiel mit der Strenge und die Faszination der Simplizität – so könnte das Motto des Forsythe-Ballettabends lauten, der derzeit auf dem Spielplan der Pariser Oper steht. Der amerikanische Choreograf ist in diesem Haus, in dem er unter anderem im Jahr 1987 sein Meisterwerk „In the Middle – Somewhat Elevated“ für Sylvie Guillem und Laurent Hilaire schuf, ein häufig und gern gesehener Gast. An diesem Abend stehen zwei Erstaufführungen, „Approximate Sonata“ (1996) und „Artifact Suite“ (2005) und eine Wiederaufnahme, „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ (1996), auf dem Programm.

„Approximate Sonata“ ist eine Folge von Soli und Pas de Deux im typischen Forsythe-Stil, in dem sich vier Paare zu Klängen von Thom Willems auf die Suche nach den Grenzen der klassischen Technik begeben. Indem er diese dekonstruiert und das Zentrum der Bewegungen von der Körpermitte in die Peripherie verlegt, schafft Forsythe zahlreiche gelungene Momentaufnahmen. Der minimalistische Rahmen suggeriert, wie im Titel bereits angedeutet, dass es sich um ein Experiment, um „work in progress“ handelt: Ein Tänzerpaar unterhält sich und probiert Positionen und Bewegungen aus, eine Stimme aus dem Off gibt Anweisungen. Trotz der bemerkenswerten Darbietung der Tänzer (allen voran Aurélia Bellet und Stéphane Phavorin, die dem Stück am Anfang und Ende eine unerwartet humorvolle Note geben), mangelt es dem Ballett, nicht zuletzt aufgrund der plätschernden Klangkompositionen Thom Willems‘, an Spannungsmomenten.

Das folgende Stück, „The Vertiginous Thrill of Exactitude“, ist eine deutlich an Balanchine und Petipa angelehnte Stilübung voller Raffinesse und von atemberaubendem Tempo. Mit messerscharfer Präzision und einem Hauch von Ironie flitzen fünf junge Tänzer in giftgrünen Scheibentutus und bordeauxroten Shorts zum Schlusssatz der (leider nicht live gespielten) 9. Sinfonie von Schubert über die Bühne, ohne jemals zum Stillstand zu kommen. Myriam Ould-Braham und Dorothée Gilbert, gerade erst zu Premières Danseuses ernannt und zwei der größten Hoffnungen der Kompanie, haben hier Gelegenheit, durch ihre lupenreine Technik und Schnelligkeit zu brillieren. Wie auch Alessio Carbone, der – bereits perfekt in „Approximate Sonata“ – mit übersprudelnder Energie alle Schwierigkeiten der Choreografie mühelos meistert.

Der Abend schließt mit „Artifact Suite“, einer Neufassung des 1984 für das Frankfurter Ballett entstandenen „Artifact“. Dieses zweigeteilte Stück folgt einer beinahe kriegerischen Ästhetik : 35 Tänzer in gelben oder grüngrauen Kostümen folgen simultan den Bewegungen einer Vortänzerin (Béatrice Martel). Im ersten Teil (zur Chaconne von Johann Sebastian Bach) bildet das Corps de Ballet ein in strengen Linien angeordnetes, vollkommen uniformes lebendes Dekor, vor dem sich zwei Paare (Eleonora Abbagnato, Benjamin Pech, Clairemarie Osta und der für Forsythes Stil wie geschaffene Jérémie Bélingard) abheben. Die fließenden Bewegungen der Pas de Deux kontrastieren mit den zahlreichen Brüchen (plötzlich fallende Vorhänge), den extremen Lichtkontrasten und der Härte der Formationen und Gesten des Corps de Ballet. Der zweite Teil besteht vorwiegend aus Ensembleszenen. Auch hier wechseln sich leichte, fließende Sequenzen von fragiler Grazie und harte, abrupte Bewegungen ab. Das Corps de Ballet (besonders zu erwähnen sind Alice Renavand, Ghyslaine Reichert und Sara Kora Dayanova) beweist in den raffinierten Gruppenszenen vollkommene Synchronizität und Harmonie. Gegen Ende schafft die mechanische Wiederholung einiger einfacher Grundbewegungen eine beinahe hypnotische Atmosphäre, die durch Eva Crossman-Hechts eingängige, zuweilen an Strawinsky erinnernde Musik noch unterstrichen wird. Man kann nur hoffen, dass dieses Meisterwerk, das sich ideal in das Profil der Kompanie fügt, hier eine dauerhafte Heimat finden wird.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern