Die Ballettfans proben den Aufstand

In Wiesbaden formiert sich eine Initiative pro Ben van Cauwenbergh

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Wiesbaden, 23/07/2006

Das Beispiel von Brüssel wird wohl nicht Schule machen! Dort zog bekanntlich anno 1830 das Opernpublikum aus dem Theater auf die Straße und machte Revolution – das war die Geburtsstunde des modernen Belgiens. Dass die Wiesbadener Ballettfans jetzt ihren Ministerpräsidenten Roland Koch aus seinen Ämtern jagen und eine hessische Ballettrepublik gründen werden, steht wohl kaum zu erwarten. Immerhin hat sich dort jetzt eine Gruppe von Ballettfans gebildet (eine Sezession?), die sich stark macht für das Verbleiben Ben van Cauwenberghs als Ballettdirektor des Hessischen Staatstheaters. Dessen Vertrag will der Intendant des Theaters, Manfred Beilharz, mit der nächsten Spielzeit 2006/07 auslaufen lassen, das heißt, er will ihn nicht, wie sonst allgemein üblich, verlängern.

Der Grund: van Cauwenbergh wäre dann fünfzehn Jahre am Hessischen Staatstheater und damit unkündbar. Der Intendant hält sich dabei offenbar an eine Auflage des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, dass es grundsätzlich zu vermeiden sei, dass der Status der Unkündbarkeit, wie in den Verträgen der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger festgeschrieben, erreicht wird. Er selbst gibt sich auffallend zurückhaltend in der Beurteilung der von van Cauwenbergh geleisteten Arbeit. So muss man den Eindruck gewinnen, dass ihm die Weisung des Ministeriums nicht ungelegen kommt.

Damit hat er sich allerdings den Zorn einer Gruppe von Ballettenthusiasten zugezogen, die mit ihren Protesten an die Öffentlichkeit gegangen ist und ihm einen „alleinigen Machtanspruch“ unterstellt, ihn gar als „King Beilharz“ desavouiert und lautstark fordert „Beilharz muss gehen!“ Sie beruft sich dabei auf den Erfolg der Arbeit von van Cauwenbergh, seine ausgesprochene Popularität beim Publikum und die hohe Auslastung der Wiesbadener Ballettvorstellungen. Und nicht zuletzt auf den starken Zuspruch für ihre Unterschriftenaktion mit bisher über 500 Solidaritätserklärungen. Immerhin: eine solche Aktion Pro-Ballett hat es in Deutschland bisher noch nicht gegeben – jedenfalls ist mir keine bekannt geworden. Und dass sich ein Publikum derart für sein Ballett engagiert, halte ich für ein durchaus positives Ereignis, von dem ich mir wünschte, dass es Schule machen würde.

Andererseits ist nicht zu verkennen, dass fünfzehn Jahre kontinuierlicher kreativer Tätigkeit an einem Theater unweigerlich einer starken Verschleißgefahr unterworfen sind. In den Chefpositionen sowieso, wenn sie neben den bürokratischen Organisationszwängen (die von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen werden und doch einen großen Teil der Arbeitskraft absorbieren) auch noch als Autoren, sprich: als kreative Choreografen künstlerischen Ansprüchen zu genügen haben. Tatsächlich haben es die Ballettchefs als Choreografen in dieser Hinsicht viel schwerer als ihre Kollegen im Schauspiel und in der Oper – von denen man kaum erwartet, dass sie pro Spielzeit neue Dramen schreiben, beziehungsweise Opern komponieren sollen.

Es ist ein echtes Dilemma! Weswegen sich Ballettchefs mit starken kreativen choreografischen Ambitionen von sich aus kaum je fünfzehn Jahre lang in dieser Position, die eigentlich eine Doppelposition ist, halten (anders verhält es sich bei den freien Truppen, die sich um eine einzige Choreografenpersönlichkeit scharen). Siehe Jiří Kylián, der die Leitung des Nederlands Dans Theaters abgegeben hat, um weiterhin als freier Choreograf tätig zu sein. Wie lange wird Heinz Spoerli in dieser strapaziösen Position ausharren? Und John Neumeier? Ist der mit seinen inzwischen dreiunddreißig Jahren als Ballettchef in Hamburg nun etwa doppelt unkündbar? Immerhin hat das Fähnlein der Ballett-Aufrechten von Wiesbaden eine Initiative gestartet und damit einen ausgesprochen willkommenen Denkanstoß geliefert!

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