Wo der Tanz zugemüllt wird von Sprache

Neue Ballette von Wayne McGregor, Nicolo Fonte und Christian Spuck

oe
Stuttgart, 07/04/2005

Tanzsichten? Nicht doch eher Sprachstörungen? Fragt sich dann nur, wer und was hier mehr stört: der Tanz die Sprache oder das enervierende Geseiere aus dem Lautsprecher die Konzentration auf den Tanz? Schon mal daran gedacht, sich bei den Verbraucherschutzverbänden zu beschweren über die zunehmende Belästigung des Ballettpublikums durch die kopflastigen Egotrips der Choreografen, die ja offensichtlich die einzigen sind, die verstehen, womit sie die Leute im Parkett bombardieren?

Am wenigsten schienen die Tänzer der drei Uraufführungen des neuen Stuttgarter Ballettabends sich an den Sprachattentaten zu stören, die sie unablässig terrorisierten und sie, mal englisch, mal deutsch, zumüllten. Scheinbar unbeeindruckt absolvierten sie ihre choreografischen Arrangements – eine Kompanie, die auch den extravagantesten körperlichen Zumutungen nicht nur gerecht wurde, sondern sie mit einer so lässigen Bravour bewältigte, dass man sich fragte, wie sie die verinnerlicht – oder vielleicht sollte man besser sagen: verkörperlicht hatte.

Der ihnen in dieser Beziehung am meisten zugemutet hatte, war der Engländer Wayne McGregor mit seinem Ballett „Eden | Eden“ zu Steve Reichs „Dolly“ (jawohl, das geklonte Schaf!) aus „Three Tales“. Übrigens waren nicht nur die Tänzer und das Publikum, sondern auch die Musiker des Staatsorchesters unter der Leitung von James Tuggle an diesem Abend weit über ihre üblichen Pflichten hinaus gefordert: dass sie und wie sie sich darauf einließen, stellt ihrem Professionalismus ein glänzendes Zeugnis aus. McGregors Doppel-Paradies schien geradewegs von der Weltausstellung in Japan importiert, mit neun Tänzern, denen man in einer hochkomplizierten choreografischen Operation offenbar Robo-Chips implantiert hatte. Schöne neue Welt?

Tatsächlich brachten Alicia Amatriain, Friedemann Vogel und ihre Kollegen es fertig, diesen Wesen von einem anderen Stern eine neue Ästhetik abzugewinnen, auch wenn man sie unter ihren Roboter-Uniformen (Kostüme – nomen est omen – Ursula Bombshell) zunächst nicht erkennen konnte. Immerhin ein Trost: dass sich ihre klassisch-akademische, sogar auf die Spitze getriebene Virtuosität auch in dieser wie digitalisiert wirkenden Körpersprache durchsetzen konnte! Da gab sich der Amerikaner Nicolo Fonte in seinem „Gambling, x 5“ zu Gavin Bryars „A Man in a Room Gambling“ trotz der ständigen Kartenspiel-Kommentare aus dem Lautsprecher wesentlich harmloser: eine Soft-Wave-Choreografie, von Bridget Breiner, Katja Wünsche, Jiri Jelinek, Alexander Zaitsev, Eric Gauthier, Marijn Rademaker und Jason Reilly nebst weiteren fünf Kollegen in ihren ausgesprochen sexy wirkenden Kostümen von Lourdes Frias wie eine nachmittägliche Damenpartie Bridge absolviert. Gab's da nicht mal ein Ballett namens „Jeu de cartes“? Wenn wir uns recht erinnern, ging‘s da wesentlich amüsanter und auch tänzerisch spritziger zu!

Und zum Schluss dann also Christian Spucks „La peau blanche“ zu John Adams‘ „Fearful Symmetries“. Vielleicht hätte ihm sein Dramaturg ja nicht nur zusätzlich zu den Unmengen von Eric Gauthier gebrabbelten Textes auch noch eine Übersetzung des Titels liefern sollen. Aber auch das hätte wohl nicht geholfen, Licht ins Dunkel dieses Mystery-Krimis aus dem Mittelalter über einen legendären Mordfall zu bringen. Unser Hauschoreograf auf den Spuren von Umberto Eco! Also Mangel an Ehrgeiz kann man unserer löblichen Ballettdirektion nun wirklich nicht nachsagen. Und auch Spuck nicht in seiner ersten choreografischen Einlassung mit der Historie, die – so aktuell geht es bei uns im Ballett zu – einen veritablen Papst auf die Bühne bringt und dazu ein beeindruckend mit seinen Krücken in der Luft herumfuchtelndes Schreckgespenst namens Bridget Breiner.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern