Feuerwerk getanzter Leidenschaft

MacMillans „Manon“ liebt und leidet beim Staatsballett Berlin

Berlin, 24/04/2005

Fast auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass in der Berliner Staatsoper das Royal Ballet aus London sein umjubeltes Gastspiel gab. Auf dem Programm stand mit „Manon“ auch ein international erfolgreiches Ballett von Kenneth MacMillan, einem der renommiertesten englischen Choreografen seiner Zeit, der für Kompanien aus aller Welt kreierte und Ende der 1960er als Chefchoreograf an die Deutsche Oper Berlin kam. Jennifer Penney und, mit unnachahmlicher Eleganz, Londons Starballerino Anthony Dowell tanzten bei jenem Gastspiel 1985 „Unter den Linden“ am Premierenabend die Partien der Manon und des Des Grieux. Von den Pas de deux der Liebenden haften Wunderdinge im Gedächtnis, die manch harmlose Gruppenszene verschmerzen ließen. Gehört eines der großen Liebesduette inzwischen zum Galarepertoire, so ist nun das gesamte Werk in den Spielplan des Staatsballetts Berlin eingekehrt, und das mit Gewinn.

Denn neben Crankos „Onegin“ und Neumeiers „Kameliendame“ gilt MacMillans „Manon“, uraufgeführt 1974 und seither in vielen reputablen Kompanien heimisch, als eines der großen Literaturballette aus dem vergangenen Jahrhundert. Wie die beiden verschwisterten Stücke enthält auch MacMillans „Manon“ keine einzige Note der gleichnamigen Opern, etwa von Puccini oder Massenet. Musik des Franzosen Jules Massenet bildet dennoch die atmosphärische, emotionsgeladene Klangfolie des Abends: als von Leighton Lucas speziell arrangierte Collage aus anderen Opern sowie Oratorien und sinfonischen Kompositionen. Wie nahtlos sich häufig, besonders auch in den großen Duetten, die Stimmung der Musik und die tänzerische Dramatik einander anschmiegen und ergänzen, darf als Glücksfall gelten.

Als sich bei der Verbeugung Vladimir Malakhov vor „seiner“ Manon Diana Vishneva auf die Knie warf, noch ganz unter dem Eindruck des aufwühlenden Bühnengeschehens, da hatte er als Partner Großes geleistet. Drei Akte und sieben Bilder lang umwarb er das ambivalente Luxusgeschöpf, das sich zwischen der Liebe zu ihm und zum leichthin ertändelten Reichtum nicht zu entscheiden vermag und jene fatale Unentschlossenheit mit dem Leben bezahlt. In den Strudel ihres Untergangs reißt das fürs Kloster bestimmte, zur Kokotte changierende Mädchen auch den naiven Studenten Des Grieux. Der wiederum wird für sie zum Trickbetrüger und schließlich Mörder. Ihr Bruder Lescaut, aus Geldgier Zuhälter der eigenen Schwester, ist Dritter in einem amoralischen Bund, wie Abbé Prevost ihn in seiner 1731 erschienen Romanvorlage schildert und wie er in Laclos’ „Gefährlichen Liebschaften“ von 1782 kulminiert - bis die Grande Révolution der Verderbtheit einen vorläufigen Riegel vorschiebt.

Gegenüber der Londoner Version hält sich die Ausstattung, eine Leihgabe des Königlich Dänischen Balletts Kopenhagen, schlicht hinter dem Tanz zurück. Designerin Mia Stensgaard arbeitet mit feinsinnig geteilten Farbprojektionen in Rot, Violett und Schwarz für den Hintergrund, setzt gemalte Prospekte ein und skizziert den jeweiligen Handlungsort mit wenigen Requisiten. Sind die Kutschen, in denen Manon auffährt und ihr Bruder in Verfolgung des Liebespaares gen Paris eilt, gegenständlich zu sehen, so scheint das Schiff, das die Prostituierten nach Amerika transportiert, nur noch als bedrohlich schwarze Silhouette auf. Zwischen Hell und Dunkel wechseln auch die Kostüme. In diesem düsteren Umfeld ereignen sich die Begegnung von Manon und Des Grieux in einem Gasthaus, ihre Liebeshändel im ärmlichen Pariser Zimmer, die lüsterne Gesellschaft unterm Lüster eines Bordells, die Deportation der Prostituierten und endlich, auf den Nebelschwaden eines amerikanischen Sumpfes, Manons Fiebertod. Während der Gruppe eher spielerische Rahmenaktion zufällt, als Bettler, Galane, Dirnen, Soldaten, ruht auf vier Figuren die tänzerische Hauptarbeit.

Diana Vishneva, unübersehbar präsent, zeichnet in berührender Intensität und mit bestechender Kultur den Bogen vom staunend umschwärmten Mädchen über die berechnende Dirne zur erlöschenden Gefangenen. Ihre Duette mit Des Grieux, voller kniffliger Verschlingungen, Umgriffe und Rutschlandungen, Stemmhebungen, Schleiffiguren und Schleudern, sind nicht nur vom akrobatischen Standard die Glanzpunkte des dreistündigen Abends. Vladimir Malakhov, durch eine Verletzung behindert, dennoch ein verlässlicher Partner und zudem ein starker Darsteller, steigerte sich zusehends in den Rausch der Rolle hinein. Als Charaktertänzer, bei dem Technik und Gestaltung einander ebenbürtig sind, fügte Martin Buczkó in der Partie des Lescaut seinem Rollenspektrum, nach Rotbart und Mime, nun ein weiteres Kabinettstück hinzu. Sein virtuoses Duett als Trunkener mit der Geliebten, der Beatrice Knop makellos Bravour verlieh, brachte überdies komische Momente ein.

MacMillans Kunst, mit ungewöhnlichen tänzerischen Mitteln Situationen zu umreißen, entfaltet sich auch in Trios, wenn widerstreitende Gefühle aufeinanderprallen. Mit Manons aufreizend biegsamem Solo im Bordell und der anschließenden Welle von Transporten auf den Armen ihrer Bewunderer ist ihm ein weiteres choreografisches Juwel gelungen. Unter Paul Connelly schob die Staatskapelle Berlin Massenets Klangfinessen dem Tanz filigran unter.

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