Beyond Ballet - zweiter Teil

NDT III gastiert mit Robert Wilsons „2 Lips and Dancers and Space“ im Forum am Schlosspark

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Ludwigsburg, 24/02/2005

Es wurde aber auch höchste Zeit! Immerhin sind über 18 Jahre vergangen, seit sich Robert Wilson zum letzten Mal hierzulande blicken ließ. Das war bei der Premiere seiner Inszenierung von Glucks „Alceste“ in der Stuttgarter Staatsoper. Seither ist der Ruhm des Theatermanns aus Texas ins Unermessliche gestiegen, wird er als Lichtfigur und Heilsbringer des modernen Theaters in der ganzen Welt gefeiert. Dank also dem Ludwigsburger Kulturamt und seinem rührigen Veranstaltungs-Manager des Tanz-Forums, dass sie ihn mit seiner jüngsten Produktion für die dritte Kompanie des Nederlands Dans Theaters ins Forum-Theater am Schlosspark eingeladen haben – als Auftakt einer Serie, die in den kommenden Wochen auch noch die beiden anderen Kompanien des NDT nach Ludwigsburg führen wird.

Was wäre Ballett-Stuttgart ohne Tanz-Ludwigsburg! Wie kühn die Einladung gerade mit diesem Programm war, ist den Veranstaltern vermutlich erst während der Vorstellung bewusstgeworden, als die Zuschauer zwar nicht en masse, aber doch zu Dutzenden die Flucht ergriffen. Vermutlich weil sie doch ganz andere, traditionellere Erwartungen an einen Ballett- beziehungsweise Tanzabend hatten. Die allerdings wurden in den pausenlosen siebzig Minuten nur im Miniformat bedient. So, dass der Titel sehr wohl auch hätte „Beyond Ballet“ heißen könnte – als Anknüpfung an das jüngste Programm des Stuttgarter Balletts. Da die Ausführenden vier Tänzer der Seniorenkompanie des holländischen NDT waren, konnte man den auf rotem Grund prangenden Titel „2 Lips and Dancers and Space“ sehr wohl auch als „Tulips“, also Tulpen aus Holland lesen. Erste Aufforderung an die Zuschauerhörer, ihre Fantasie spielen zu lassen.

Die allerdings kam voll auf ihre Kosten – so dass die meine sogar auf die irre Idee kam, die Kompanie umzubenennen in VfB III – als Avantgarde-Truppe des Stuttgarter Fußballvereins! Denn um Bewegungsspiele handelte es sich, was uns Wilson und die vier Tänzerinnen und Tänzer Gioconda Barbuto, Sabine Kupferberg, David Krügel und Egon Madsen vorführten, bewegte Nonsens-Bilder von berückender Reinheit und Schönheit, aus Sprache, Lautmalereien, Musik, Klängen, Licht, Farbe und Raum – und auch, na ja, Bewegung. Der allerdings hätte ein größerer Anteil am Theatervokabular Wilsons gutgetan – weswegen er sich in seinen besten Produktionen in der Vergangenheit auch immer wieder der choreografischen Entwicklungshilfe von Lucinda Childs bedient hat.

Wer sich darauf einließ, begab sich auf eine Reise ins Wilson-Biotop, dem alles Menschliche fremd ist: Beauté pour Beauté – noch divinatorischer als Toscas Bekenntnis zu „Vissi d’arte“. Und dabei doch einer großen Theatertradition des 20. Jahrhunderts verpflichtet, die von Kurt Schwitters‘ dadaistischen Phantasmagorien über Alwin Nikolais „Sound and Vision Pieces“ bis zu Samuel Becketts metaphysikfreier Mysteriumsbühne reicht – mit Egons Madsen als eine Art Zeremonienmeister, der als Erbe des Spitzwegschen Armen Poeten und von Becketts Landstreicher/Clowns Estragon und Wladimir fungiert. So bietet unser Theatermann aus Bush-Country Theater pur, frei von allen narrativen Ambitionen – ungewohnt für unsere Theaterabonnenten und insbesondere für die Cranko-Enkel unserer Region – als Alternative indes durchaus erkenntniserhellend und ausgesprochen liebenswert für alle Spaziergänger der Fantasie!

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