Auf der Überholspur

Die neue „Coppélia“ zum Zweiten

oe
Zürich, 19/01/2005

Erst 31 Tage nach der zweiten Vorstellung der neuen Zürcher „Coppélia“ die dritte. Indessen kein Planungsdesaster, sondern weil die Kompanie über Weihnachten und Neujahr siebenmal „Cinderella“ in Genua getanzt (Kulturhauptstadt Europas 2004) und anschließend Urlaub gemacht hat (als Kompensation für die noch vor der Oper beginnenden Proben für die neue Spielzeit). Die Zürcher wetteifern ja inzwischen mit den Hamburgern in puncto Auslandsgastspiele (mit Stuttgart auf einem der hintersten Plätze). Kaum zurück aus Italien, beginnen bereits die Vorbereitungen für die nächsten Tourneen: Neuss, Frankfurt und dann Tokio. Glückliches Zürich!

Die erste Ballettvorstellung also nach so langer Abstinenz. Ein volles Haus – ohne Abonnement (und bei den hohen Preisen!). Allein bis Ende März sind sieben weitere „Coppélias“ geplant – dazwischen einzelne Vorstellungen von „Smoke“ und „Goldberg-Variationen“. Das scheint mir eine geradezu vorbildliche Vorstellungsdisposition (Hamburg bringt es bis Ende März gerademal auf drei Vorstellungen der Dezember-Premiere von „La Fille mal gardée“). Kein bisschen Routine bei dieser dritten Zürcher „Coppélia“. Kein Wunder nach diesem Explosiv-Auftritt der beiden Studentencorps gleich zu Beginn, wenn sie in übermütiger Semesterferienlaune auf die Bühne stürmen und ihre Kappen in die Luft werfen. Und so geht es weiter, Nummer um Nummer, die kleinen und großen Ensembles, die Spoerli so fantastisch musikstimmig eskalieren lässt, die jeweils so individuell timbrierten Soli und Duos, die stilreine Klassik demonstrieren, die verschmitzten, beineschlenkernden Arrangements für die Jungs, die Dampfwalzenwucht über die Bühne brandender Mazurken.

Gibt es unter den Choreografen der jüngeren und mittleren Generation (und Spoerli gehört ja inzwischen auch schon zu den Senioren) jemanden, der so viel Humor besitzt wie Spoerli? Oder über eine so facettenreiche reine Klassik gebietet? Der über diese enorme Bandbreite der Möglichkeiten verfügt (inzwischen hat er mit der Arbeit an Mahlers Fünfter begonnen)? Wissen die Schweizer und wir Deutschen als Nachbarn überhaupt, was wir an ihm haben? Einen derart musikalischen, handwerklich so souveränen und einfallsreichen Choreografen und Inszenator. Ist Spoerli die eidgenössische Antwort auf den durch und durch britischen Frederick Ashton? Ein atemberaubender Vergleich, ich weiß, ich weiß! Sozusagen Sir Heinz von der Limmat (wenn die selbstbewussten Eidgenossen auch jeden Adelstitel ablehnen)?

Von ausgesprochen ansteckender Gutgelauntheit auch die Tänzer an diesem Abend. Lara Radda beispielsweise, die Swanilda (die hier Antonia heißt), die kichernd mit den Füßen zu trillern versteht und ihre Linien mit bravouröser Eleganz auflädt. Oder Stanislav Jermakov als Franz, der ein formidabler Springer und Dreher ist, aber auch ein profilierter Charakterdarsteller, ein Bücherwurm, der mit seiner Brille wie gedopt agiert – und an dem wohl Swanilda nach dem notdürftig gekitteten Happy-End wenig Freude haben wird, weil er ein regelrechter Puppen-Fetischist ist. Otto Ris hat als Professor Coppélius den Charakter noch vertieft – ein liebenswerter Schusselkopf, der angesichts der belebten Coppélia plötzlich Frühlingsgefühle in seinem Bauch kribbeln spürt, fast wie ein Hans Sachs gegenüber Eva Pogner.

Was für eine Galerie skurriler Typen – angefangen von François Petit als Rädelsführer der Studenten (ein Cohn-Bendit, mit mindestens so eloquenten Beinen wie Danny mit seinem Mundwerk im Straßburger Parlament). Aber dann müsste man eigentlich alle nennen, die mit so ansteckend guter Lust und Laune bei der guten Sache sind. Und die dem Publikum so einheizen, dass es sich schon auf die nächste Vorstellung freut. Bitte mehr von solchen Ballettabenden, die die Leute ins Theater treiben!

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