Abschlussvorstellung: „Schritte in die Zukunft“

Junge Choreografen bei den Hamburger Ballett-Tagen

oe
Hamburg, 02/07/2005

Am vorletzten Abend der 31. Hamburger Ballett-Tage noch einmal das Eröffnungsprogramm, das diesmal „Schritte in die Zukunft“ verhieß. Ulrich Völker, von mir sehr geschätzt, hat es hier bereits am 21. Juni kommentiert – eher zurückhaltend, mit nur einem wirklichen Gewinn: Marco Goecke – und einem, seiner Meinung nach, höchst verzichtbarem Flop von Christopher Wheeldon.

Altersweise (?), fällt mein Urteil wesentlich positiver aus. Vor allem bewundere ich den Mut von drei der vier Beteiligten zu großen Formaten – da sind wir in Stuttgart wesentlich Kleinkarierteres gewohnt. Bewundern tue ich auch den rückhaltlosen Einsatz der Hamburger Tänzer für ihre jungen Kollegen, denn auch die Principals waren sich nicht zu schade, sich zur Verfügung zu stellen – inklusive solcher Tops wie Silvia Azzoni, Hélène Bouchet, Heather Jurgensen, Otto Bubeníček, Alexandre Riabko, Lloyd Riggins, Carsten Jung, Ivan Urban und Thiago Bordin – um nur ein paar zu nennen. Das sicherte dem Abend ein professionelles Finish, wie es in den üblichen choreografischen Werkstattveranstaltungen nur selten der Fall ist.

Wir sahen also vier Ballette von Choreografen, zwischen 24 (Yukichi Hattori) und 33 Jahre alt (Goecke) – nur Karlsruhes Terence Kohler (der hier gut hätte mithalten können), ist noch jünger (21). Begabt sind sie alle, auch der sehr unausgegorene Hattori, dessen „Wege“ (zu Musik von – ausgerechnet – Bach) mir wie ein Reflex auf die Rushhour an einem Verkehrsknotenpunkt in Tokio vorkamen – ein choreografischer Fleckenteppich, darin verwoben ein paar witzige Patches. Der reifste von allen: der vom New York City Ballet kommende Wheeldon. Seine „Polyphonia“ – vom Klangfarbenzauberer Volker Banfield wie ein Kaleidoskop aus dem Klavier herausgekitzelt – versteht sich als ein Ballett für vier hochkarätige Paare – weniger eine Direktinterpretation der Ligeti-Stücke als ein darüber gelegtes choreografisches Palimpsest, sehr kühl, sehr abstrakt, klar strukturiert (die Trio-Fuge, der Männer-Kanon, die krebsartigen Spiegelungen ...).

Die Balanchine-Nachfolge ist eindeutig, aber keineswegs epigonal. Ich sehe das Ballett als eine Fort- und Weiterführung der Linie, die von den „Vier Temperamenten“ (eins meiner Lieblingsballette) über „Agon“ bis zu den „Episodes“ und darüber hinaus ins Zonenrandgebiet des Forsythe Country führt. Sehr meinem Geschmack entsprechend – pace U. V.! „Unerreichbare Orte“ von Jiří Bubeníček zu einer durchaus energiestiftenden Klang-Wort-Collage (eigentlich nicht so unbedingt mein Fall, aber hier mit doch ziemlich klar zu verstehenden Texten), ist eine Suche nach der anfangs markant demonstrierten Eingeschlechtlichkeit des Menschengeschlechts. Sie ist natürlich vergeblich, ein sisypheisches Unternehmen, mit ständigen Frustrationen, heftigen Attacken und ausweglosen Fluchten – nicht unoriginell, zum Teil auch witzig und jedenfalls überaus abwechslungsreich (wenn auch zu lang).

Der Gewinn ist in der Tat Goecke mit seinem „Beautiful Freak“ für elf Männer zu jazzartigen Eruptionen und Ejakulationen von Chet Baker – und genauso fragmentarisch und vertwistet wie dessen Klangexplosionen. Schön? Na ja! Mir kamen diese orgasmischen Zitterwesen, die uns überwiegend als Rückenansichten mit total verrenkten Gliedmaßen präsentiert werden, eher bedrohlich vor: „Goeckeskas“ sozusagen, Nacht- und Spukvisionen in der Nachfolge von Goya. Womit sich Goecke nachdrücklich als Choreograf für Steven Spielberg empfohlen hätte, sollte der je einen Film „Invasion der Aliens“ planen.

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