„Othello“ von Stephan Thoss & Cie.

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Hannover, 28/05/2004

Gespenstisch! Gestern Abend, bei Movimentos in Wolfsburg, ein brechend volles Haus, am Ende schier ausflippende Begeisterung für The Tokyo Ballet mit dreimal Béjart. 24 Stunden später in der Staatsoper Hannover, keine hundert Kilometer entfernt, vor stark durchlöchertem Zuschauerraum, die Uraufführung von „Othello“, Ballett von Mauro de Candia, Felix Landerer, Yuri Mori, Stephan Thoss und Thomas Wilhelm. Die Vorstellung: Tote Hose! Nur vereinzelt ein bisschen dünner Zwischenbeifall bei ein paar Szenenwechseln. Am Schluss dann allerdings einmütiger, durch Gejohle und Gekreische aufgeheizter Applaus.

Auf der nachtschwarzen Bühne ein paar Schiebewände, keinerlei Atmosphäre (Bühne und Kostüme: die Choreografen). Das Personal wie bei Shakespeare. Othello ist indessen kein Farbiger, sondern, laut Programmheft, ein Außenseiter, eher bürgerlich. Die genannten fünf Choreografen sind auf dem Besetzungszettel mit ihren individuellen Beiträgen ausgewiesen. Die Musik zusammengestückelt, darunter auch Ligeti, Feldman und Pärt sowie Elektronisches (gab es da nicht mal ein – übrigens sehr erfolgreiches Othello-Ballett von einem gewissen Boris Blacher?).

Den Prolog hat Thoss choreografiert – auch die anschließende Szene der angeblichen Konfrontation Othellos mit der Gesellschaft. Othello windet sich konvulsivisch vornehmlich am Boden – Sandro Westphal macht das entsagungsvoll brillant, offenbar ein Epileptiker. Im Verlauf der nächsten hundert Minuten wird einem klar: nein, ein unheilbar am ADS-Syndrom Erkrankter. Othello als Zappelphilipp. Dann wird´s ganz schlimm: die erste von zahlreichen Schattenszenen, choreografiert von Yuki Mori, dem eher freundlich-harmlosen Jago. In diesen Schattenszenen treten alle Charaktere des Stücks als Lemuren gedoubelt auf, verschleiert und maskiert, aber ich habe nie kapiert, wer hier wer ist und hielt die sechs Vermummten für eine um den Geist von Hamlets totem Vater versammelte Komödiantentruppe, die mit einem großen blauen Tuch herumfuchtelt (das muss wohl das ominöse Taschentuch gewesen sein, das sonst kaum eine Rolle spielt). Na ja – was sich Dramaturgen so alles ausdenken!

Nicht alles gibt sich so verquast wie diese Eingangsszenen. Es gibt einen schönen Pas de deux für Othello und Desdemona (sehr innig und liebevoll: Anna Herrmann), choreografiert von Mauro de Candia. Ungemein offenherzig und für sich einnehmend tanzt Kenneth Pettitt den Cassio. Auch Alexandra Milne gehört als Emilia zu den Sympathiebotschaftern des Stücks – und sie hat einen anrührenden Pas de deux mit Desdemona, Choreografie Thomas Wilhelm. Felix Landerer dagegen befleißigt sich, Jago und Emilia ständig gegen die Wände anrennen zu lassen. Und einen solchen Tod muss auch Desdemona sterben: Othello klatscht sie gegen die Wand, und sie fällt tot zu Boden. Aus!

War da was? Noch nie zuvor hat mich ein tanzender Othello so kalt gelassen: Nicht Tschabukiani (aus Tiflis, via Film), nicht Dirtl in Wien, nicht Reinholm in Berlin, nicht Gouda in Hamburg – und ganz gewiss nicht der Nobelste von allen, José Limon. Wenn Thoss mit seiner Zappel-Choreografie (wie schon in seinem „Schwanensee“ registriert) weiter so fortfährt, sollte er sich vielleicht demnächst einmal den ganzen „Struwwelpeter“ vornehmen!

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