Gerald Siegmund : „William Forsythe - Denken in Bewegung“

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Stuttgart, 22/05/2004

Ich habe ja schon anlässlich der Schlussvorstellung des Balletts Frankfurt auf das Erscheinen der Monografie über William Forsythe hingewiesen (kj vom 26.April). Sie erfordert allerdings ein gründlicheres Studium, denn die 176 Seiten dieses von Gerald Siegmund herausgegebenen Buches „William Forsythe – Denken in Bewegung“, erschienen bei Henschel in Berlin, bieten alles andere als eine leichte Lektüre. Er hätte ihm auch den Titel „Nachdenken über William Forsythe“ geben können. Über die zwanzig Jahre seiner Arbeit beim Ballett Frankfurt.

Im Gegensatz zu Pina Bausch definiert Forsythe seine Stücke nicht als Tanztheater, sondern nach wie vor als Ballette. Das Ballett mit seiner über die Jahrhunderte ausgeprägten Methodik der Danse d‘école liefert die Basis und den Ausgangspunkt seiner Recherchen, die ihn freilich weit über die von den Akademikern gesetzten Grenzen in choreografisches Neuland haben vorstoßen lassen. Das Ballett als Technik ist für ihn die Voraussetzung des Weges, der zum Ziel einer neuen Ästhetik des Tanzes führt und mithin zu einer neuen Schönheit, die den Körper zum Instrument des Denkens macht. Das Ergebnis ist dann „ein Modell menschlicher Interaktion und ein Modell von demokratischer Kommunikation.“

Tatsächlich gelingt es Siegmund den Weg deutlich zu machen, den Forsythe in seinen beiden Frankfurter Jahrzehnten gegangen ist. Und so versteht man im Nachhinein Manches, was einem bei der Premiere der einzelnen Arbeiten noch völlig rätselhaft erschienen war – nicht zuletzt auch die Titel der Stücke. Es war der Weg, der ihn von den „Gedankenreigen“ Rudolf von Labans zu den dekonstruktivistischen Hypothesen des Architekten Daniel Libeskind geführt hat. Die Beiträge der Tänzer und Mitarbeiter Forsythes, darunter so prominente Ensemblemitglieder wie Thomas McManus, Antony Rizzi, Dana Caspersen, Prue Lang und Nik Haffner ergänzen die Ausführungen Siegmunds durch zahlreiche praktische Beispiele ihrer Erfahrungen, die sie in ihrer Probenarbeit und in den Vorstellungen auf der Bühne gewonnen haben. Aufschlussreich dabei ist nicht zuletzt, dass ihre englischen Texte, die hier übersetzt abgedruckt sind, so viel klarer und verständlicher erscheinen als der originale deutsche Text einer der deutschsprachigen Autorinnen.

Sehr aufschlussreich ist das Schlusskapitel, in dem Kerstin Evert über die medientechnologischen Analogien (und Diskrepanzen) in den Arbeiten von Merce Cunningham und Forsythe schreibt. Ein Werkverzeichnis, eine Chronik der Karriere Forsythes und Listen aller Tänzer des Balletts Frankfurt zwischen 1984 und 2004 und der sonstigen Team-Mitarbeiter der Kompanie runden diesen ersten systematischen Überblick über das Oeuvre Forsythes ab, ergänzt durch zahlreiche Illustrationen des Fotografen Dominik Mentzos. Kein Buch für den Nachttisch, wie gesagt! Indessen ein konzentriertes Mitdenken erforderliche Pflichtlektüre für jeden, der sich fragt, wie es denn mit dem Ballett im 21. Jahrhundert weitergehen könnte – kreativ weitergehen in der Erkundung immer neuer Horizonte.

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