Ein gemischtes Vergnügen

Die Eröffnungsgala der Pariser Oper

Paris, 08/10/2004

Seit einiger Zeit wird die Saison in der Pariser Oper mit dem ersten Ballettabend der Spielzeit eröffnet, an den noch ein Bonusstück und das beliebte Défilé der gesamten Kompanie angehängt werden. Die Défilés bieten die Gelegenheit, alle fertigen und angehenden Tänzer von den Rats der Ecole de danse bis zu den Etoiles zu begutachten, und sie markieren stets auch den Anfang und das Ende von Karrieren. Dieses Défilé zum Beispiel am 22. September war das letzte in der Tänzerkarriere der langjährigen Etoile-Tänzerin Elisabeth Maurin, und es war das erste, das Mathieu Ganio, gerade zwanzigjährig zum „Danseur étoile“ ernannt, als Angehöriger dieses Ranges bestreiten durfte, wobei beide warmen Applaus ernteten.

Auf das Défilé folgte eine Uraufführung des Choreografen Jérôme Bel mit dem Titel „Véronique Doisneau“. Die Titelheldin ist eine Tänzerin der Pariser Kompanie am Ende ihrer Karriere, die den Rang eines „Sujet“ innehat, was wohl am ehesten dem eines Halbsolisten entspricht. Doisneau kommt im Probenkostüm auf die Bühne, erzählt aus ihrem Leben und tanzt einige Ausschnitte aus ihren Lieblingsstücken, meist zu selbst gesungener Musik. Dann folgt ein langer Teil, in dem sie ihre Rolle als unbewegter Schwan im Corps während des Pas de Deux des zweiten Aktes von „Schwanensee“ zu Musik vorführt. Wenn an der Idee, das Leben eines relativ unbekannten Tänzers zu einem Ballett zu verarbeiten, ganz bestimmt nichts auszusetzen ist, so ließ doch die Ausführung sehr zu wünschen übrig. Das Stück besteht zum größten Teil aus Pausen und ist dadurch, dass es sehr an der Oberfläche bleibt und auch kein wirkliches Porträt einer Tänzerin zeigt, von geringem Interesse und flüchtiger Wirkung. Danach wurde es sehr viel klassischer mit „Etudes“ von Harald Lander zu Musik von Carl Czerny: Ein Stück, das ebenfalls seine Längen hat (vor allem am Anfang), dessen Musik teilweise schön, teilweise weniger schön ist, und in dem den Pirouetten eine unverhältnismäßige Wichtigkeit zugesprochen wird – und dennoch ein Stück, das fast jeden Ballettfan begeistert. Und das nicht nur, weil die meisten seiner Variationen von hoher technischer Schwierigkeit sind, sondern auch, weil in diesem Stück nicht nur zwei, sondern gleich drei Etoiles tanzen, was oft dazu führt, dass sich vor allem die beiden Männer gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Dabei gibt es selten eine so gelungene Mischung wie Agnès Letestu, José Martinez und Nicolas Le Riche. Sowohl Letestu als auch Martinez sind wie geschaffen für ihre Rollen. Martinez vereinigt Schnelligkeit, Eleganz und Exaktheit und absolviert seine überaus anspruchsvollen Variationen mit überlegenem Lächeln. Agnès Letestu harmoniert nicht nur in ihrer technischen Brillanz und Sicherheit vollkommen mit ihm, sondern auch im Spiel mit dem Publikum, das sie durch ihren Charme und ihre Leichtigkeit erobert. Nicolas Le Riche besteht die Herausforderung mit Glanz und soviel Feuer, dass es manchmal etwas auf Kosten der Exaktheit geht. Das Corps wirkt ebenfalls sehr motiviert und zeigt in den zahlreichen Gruppenszenen und kleinen Solos große Freude am Tanz.

Danach durfte man „Sonatine“ von Balanchine genießen, das nur an diesem Abend aufgeführt wurde. Die Interpreten waren Aurélie Dupont und Manuel Legris, die mit sichtlicher Hingabe und in vollkommener Harmonie tanzten. Zum Abschluss gab es „Glass Pieces“ von Jerome Robbins zur Musik von Philip Glass. Der Vorhang öffnet sich in diesem Ballett auf eine strahlend weiße Wand mit einem schwarzen Gitter, vor der nach kurzer Zeit in allen Farben gekleidete Tänzer schnell von überallher in alle Richtungen gehen. Sechs Solisten in Rosa und Grün mischen sich unter sie (hier heben sich vor allem Emilie Cozette, Céline Talon und Nicolas Paul positiv hervor), dann folgt ein von Marie-Agnès Gillot und Kader Belarbi meisterhaft getanzter Pas de Deux. Am Ende gibt es noch eine sehr lange Gruppensequenz, in der das Corps seine ganze Energie entfalten kann, wenn es auch an diesem ersten Abend noch etwas an Koordination mangelte.

Insgesamt also ein interessanter Abend, aber bestimmt keiner der besten, die man im Palais Garnier in den letzten Jahren gesehen hat. Eine Uraufführung zum Beginn der Saison weist auf die neue Orientierung der Kompanie zu mehr zeitgenössischen Choreografien hin – so wird sich dieses Jahr die Zahl von modernen Stücken und Uraufführungen beachtlich erhöhen. Man kann nur hoffen, dass sie besser als die erste werden.

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