„Dornröschen“

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Hamburg, 18/06/2004

Die 136. Vorstellung seit der Premiere am 16. Juli 1978 oder 200 Minuten vollkommener tänzerischer Glückseligkeit – das heißt intelligenter tänzerischer Glückseligkeit. Entsprechend der Jubel des vollen Hauses – als handelte sich‘s um die Premiere! Tatsächlich hat die Produktion, hat John Neumeiers Inszenierung und Choreografie, hat Jürgen Roses Ausstattung, hat auch das Spiel des Philharmonischen Staatsorchesters unter der geradezu zärtlich-liebevollen Leitung von Michael Schmidtsdorff und mit den hinschmelzend schön intonierten Violinsoli von Anton Barachovsky und den Cellosoli von Johannes Krebs nichts von ihrer Frische, ihrem Märchenzauber verloren. Das verdankt sie nicht zuletzt der Liebe, mit der sie inzwischen wiederholt renoviert worden ist. Ich behaupte nicht, dass ich alle derzeitigen „Dornröschen“ rund um den Erdball gesehen habe, aber von allen, die ich in einem halben Jahrhundert kennengelernt habe, ist dies Hamburger „Dornröschen“ das schönste, klügste und zauberhafteste (und obendrein auch noch das humorvollste).

So schön kann klassisches Ballett sein, auch heute noch im 21. Jahrhundert – seinen Verächtern zum Trotz! Was hat sich Neumeier aber auch alles einfallen lassen, gleich vom tosenden Gewitter an, in dem sich Prinz Désiré im Wald verirrt. Ein Prinz? Na ja, aber einer aus der Jeans-Dynastie der Levi, aus der die heutigen Prinzen stammen, die auch schon mal an den Segelwettbewerben der Olympischen Spiele teilnehmen. Und den stattet Alexandre Riabko mit solchem draufgängerischen Schneid aus, dass sich sehr wohl eine Lufthansa-Hostess in einer Bar in Athen in ihn verlieben könnte (einmal ganz abgesehen von seiner technischen Bravour, mit der er im Finale über die Bühne wirbelt). Wie geschickt auch die Integration Carabosses als einer der Prinzenkavaliere im Rosenadagio, der von der Prinzessin ständig zurückgewiesen wird – obgleich er doch die schönste von allen Rosen hat (Carsten Jung stattet ihn mit einer geradezu hoheitsvollen Würde aus – und gibt mit seinem Auftritt bei der Taufe im Umgang mit dem Baby schon zu erkennen, dass womöglich ein anderer Doutroux in ihm steckt). Und dann dieser Catalabutte: sonst doch immer eine Knatter-Charge – hier nun von Arsen Megrabian zu einem eitlen, selbstverliebten Tanzmeister aufgewertet. Und diese heranwachsende Aurora, die sich von einer nervenden Göre zu einem bücherwurmigen Backfisch läutert (was liest sie denn da wohl – doch nicht etwa Puschkins „Eugen Onegin“?) und so könnte man fortfahren mit der Charakteranreicherung des Personals ... Von der sie alle profitieren, inklusive der anfangs kinderlosen Königin samt Gatten.

Dankbar registriert man auch die dramaturgischen Korrekturen, die dem ganzen Ablauf eine so viel dramatischere Stringenz verleihen (gerade auch im Jagd-Bild). Und natürlich die Kürzungen im ausufernden Schlussakt – was der Konzentration auf den gerade noch übrig gebliebenen Florestan-Pas-de-trois (Thiago Bordin nebst Anna Howlett und Hélène Bouchet) zugutekommt und natürlich dem hier einmal richtig als partnerschaftlicher Dialog munter quinkelierenden Duo des Blauen Vogel (abermals Arsen Megrabian – den wünschte ich mir als Tadzio im „Tod in Venedig“) mit der Prinzessin Florine (lupenrein als Gast aus Boston: Barbora Kohoutková).

Wie wird das aber auch getanzt: schließlich ist Hamburg nicht umsonst die Partnerstadt der Newa-Metrople! Allein die Beine von Joelle Boulogne als Aurora (die als Prinzessin abdankt und sich nach ihrem langen Schlaf in ein wunderbar heutiges Mädchen verwandelt) – nicht zu reden von den wunderzarten Handgelenken Silvia Azzonis als Gute Fee, die einen Duft von feinstem Parfüm zu versprühen scheinen. Aber dann müsste man sie eigentlich alle nennen, diese so überaus kultivierten Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Balletts. Was würde wohl Kati Lanner sagen, wenn sie diese Hamburger Urenkel ihrer wackeren Elbe-Nixen und Nixeriche vom Dammtor sehen könnte!

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