„Don Quixote“

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Karlsruhe, 15/01/2004

Birgit Keils erste große Klassikerproduktion beim Ballett des Badischen Staatstheaters: „Don Quixote“ in der Fassung von Marius Petipa und Alexander Gorsky. Die Stückwahl ist OK, denn der Ballettklassiker von 1869/1900 ist ein Reißer, das reinste Rollenfutter für die Tänzer, die sich in dem Spektakel austoben können – aber auch für das Publikum, das sich unweigerlich wie der legendäre Bolle auf seinem Milchwagen amüsiert. Und so geschah es auch in Karlsruhe in der zweiten Vorstellung an (die erste kollidierte mit der Premiere von Neumeiers „Endstation Sehnsucht“ in Stuttgart – und obendrein mit Schläpfers „XIV“ in Mainz).

Wer sich allerdings einen Gegenentwurf zu Stuttgarts fettleibig-dickwanstiger Produktion erhofft hatte, einen schlanken, luftig-leichten, modernen „Don Q“ (bei Einbeziehung der choreografischen Erbstücke), sah sich getäuscht. Karlsruhe gibt sich nicht weniger aufwendig und spektakulär: zu den rund zwei Dutzend Profitänzern der Kompanie gesellen sich neun Mitglieder des Ballettstudios des Badischen Staatstheaters plus fünfzehn Studierende der Akademie des Tanzes an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Es handelt sich also um eine Karlsruhe-Mannheimer-Koproduktion.

Für die Inszenierung wurde das Ehepaar Jaroslav und Katerina Slavicky (die Eltern des Münchner Ersten Solisten Lukas Slavicky) importiert, die aus Prag den dort vielbeschäftigten Ausstatter Josef Jelinek mitbrachten. Die Slavickys sind international bestens renommierte Pädagogen, inzwischen Leiter des Tanzkonservatoriums in Prag mit einer beachtlichen Zahl von hochqualifizierten Schülern, die in vielen Kompanien rund um den Erdball tanzen. Dass sie gediegene und routinierte Handwerker sind, steht außer Zweifel – und das beweist auch ihre Karlsruher Einstudierung, die ordentlich getanzt wird, mit viel Lust und Laune der blutjungen Tänzer. Das ist alles sehr vielversprechend für eine am Anfang ihres Aufbaus stehende Kompanie. Und ist doch zu wenig für eine junge Truppe, die sozusagen an choreografischer Bulimie leidet – die nicht genug in sich hineinstopfen kann, um es hinterher wieder von sich zu geben.

Das Ergebnis ist eine Diät-Produktion, der es an allem gebricht, was dieses Ballett ausmacht: Temperament, Eleganz, komödiantischen Überschwang, Charme und Chuzpe. Das ist alles, trotz des großen Aufwands, mindestens eine Nummer zu klein, zu brav, zu bieder, zu etepetete: die Aufführung der Meisterklasse eines Konservatoriums. Drei Jungmänner immerhin, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: der schnittige und pfeilschnelle Flavio Salamanka als Basil, der mächtig auftrumpfende Marcos Menha als Torero (beide sind Brasilianer – überhaupt ist der Anteil der Südamerikaner auffallend stark) und der Philippino Sonny Locsin als parfümierter Snob Gamasch. Als Don Q und Sancho Pansa sind Alexandre Kalibachuk und David Roßteutscher die reinsten Klischeefiguren. Die Jungdamen sind am besten in der Traumsequenz der Dryaden-Szene, die am reinsten Ansätze zu einer eigenen Mannheim-Karlsruher Klassik erkennen lässt (die gute Schularbeit von Mannheim): Emmanuelle Heyer als souveräne Königin, Imogen Wearing als visionäre Dulcinea (viel besser als ihre realistische Kitri), die entzückend quirlige Paloma Souza als Amor – aber auch ihre wundersam harmonischen Dryaden-Kolleginnen, die die Kompetenz der Trainingsarbeit im Ballettsaal bezeugen.

Präsentiert Stuttgart einen „Don Q“ aus sozusagen exilrussischer Schule der Beriosoff-Ära (definitiv prä-Cranko), so Karlsruhe einen „Don Q“ der post-kommunistischen Grigorowitsch-Nachfolge. Als Modell einer modernen „Don Q“-Produktion von eher kammerballettartigem Zuschnitt (mit behutsamen Anverwandlungen der sogenannten Originalzitate) bleibt die Essener Einstudierung von Sergej Gordiyenko und José Udaeta unerreicht.

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