Der Schönheit zuliebe

„Nur wer die Sehnsucht kennt - 25 Jahre Ballett Schindowski“

oe
Stuttgart, 16/12/2004

Ja, ein so schönes, liebevolles und elegantes Buch wünscht sich wohl jeder Ballettchef! Aber dazu müsste er auch erst einmal 25 Jahre so erfolgreich am gleichen Ort tätig sein wie Bernd Schindowski. Und das ist außer ihm hierzulande wohl nur noch John Neumeier in Hamburg – und über den existieren bekanntlich schon diverse Bücher. So ist man denn auch in Gelsenkirchen mit Recht stolz auf Schindowski und sein Ballett – sowie auf das ihm gewidmete Buch „Nur wer die Sehnsucht kennt – 25 Jahre Ballett Schindowski“ (Herausgegeben von Jörg Loskill im Verlag Klartext, Essen 2003, 144 Seiten, zahlreiche Farb- und Schwarzweiß-Fotos, ISBN 2-89861-227-9, 19,90 Euro).

Ist ja auch ein kleines Wunder, was Schindowski da in der Fußballstadt zustande gebracht hat! Allein dieses Repertoire: beginnend 1978 mit Stockhausen, später dann zurückblendend bis „Gilgamesch“ und Hildegard von Bingen, via Bach, Mozart, Beethoven, Schubert und all den anderen Klassikern bis zu Meredith Monk, John Adams, Mauricio Kagel, Philip Glass, Leonard Bernstein, Pink Floyd und Elvis Presley. Und dazu diese vorbildliche Jugendarbeit – konsequenter und zielgerichteter betrieben als an irgendeinem anderen deutschen Theater. Fast muss man danach den Eindruck gewinnen, dass sich Gelsenkirchen das Ballett Schindowski als ästhetisches Feigenblatt auf die Nacktheit seiner kreatürlichen Schalke-Existenz leistet.

Dabei ist die Nacktheit der Tänzer für Schindowski, diesen schönheits- und liebestrunkenen choreografischen Kreateur, ein – nein das künstlerische Elementar-Paradigma. Weniger – obgleich sicher auch – als erotischer Kitzel, denn als kultisches Mysterium der „Krone der Schöpfung“. Schindowskis Tänzer singen nicht wie Tosca „Vissi d’arte“, sondern sie tanzen „Vissi della beltà“ – denn sie leben die Schönheit. So erwähnen denn auch – nach den Grußwort-Beisteuerern à la Kultusminister, Oberbürgermeister und Generalintendant (alle nicht mal halb so lang im Amt wie Schindowski) – die Textautoren, Jörg Loskill als Herausgeber, Kommentator und Interviewer, Alfred Biolek als langjähriger Schindowski-Fan, Norbert Lammert als kulturpolitischer Beobachter aus Bonn/Berlin (und demnächst Laudator des Tanzpreisträgers Hans Herdlein) und Jürgen Schmude als Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Schindowski als kreativen Utopisten. Und besonders beredt tut das Konrad Schilling, als Kulturbeigeordneter der Stadt Duisburg ein getreuer Weggefährte, der seinem Essay den Titel „Bernd Schindowski – Ein dionysischer Magier des Tanzes“ gegeben hat.

Ich möchte da noch weitergehen und Schindowski – von dem ich leider viel zu wenig gesehen habe – als „dionysischen Magier aus dem Geiste des Apoll“ bezeichnen – als einen Erben in der Nachfolge des August Graf von Platen („Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben.“), des Wilhelm von Gloeden und der Brittenschen „Games of Apollo“ im Thomas-Mann-inspirierten „Death in Venice“. Ein Buch, das ich mir gut als Weihnachtsgeschenk für Hans Werner Henze vorstellen könnte – in der leisen Hoffnung, dass er eines Tages ein Ballett für Schindowski komponieren möge! Eine Warnung allerdings ist angebracht: Komme nie an einem Bundesliga-Termin nach dem Spiel auf dem Hauptbahnhof in Gelsenkirchen an! Der Schock der zurückströmenden Schalkianer hat für jeden Schönheitssüchtigen geradezu apokalyptische Ausmaße.

Kommentare

Noch keine Beiträge