Aufgeschreckt in der Stille des Lichts

Die treibende Kraft in Tero Saarinens Tanzstücken ist das Wesen des Menschen

München, 28/10/2004

Kein lauter Aufschrei, sondern die Schlichtheit klarer Linien, geschmeidige Bewegungen, die sich vom Brustkorb aus bis zu den äußersten Fingerspitzen schlängeln und eine fein ausgelotete Komposition von wechselnden Lichtstimmungen machen das Geheimnis des finnischen Tänzers Tero Saarinen aus. Seine Sprache ist ein Amalgam aus moderner Klassik und fernöstlichem Gedankengut. So beginnt das Eröffnungsprogramm des 9. Internationalen Festivals des zeitgenössischen Tanzes der Landeshauptstadt München im Carl-Orff-Saal des Gasteigs in aller Stille.

Drei Männer, ganz in weiß, mit schwarzen Schürzen an der Hüfte, schlittern im breiten Ausfallschritt über die Bühne. Nicht hektisch, aber in absoluter Synchronizität. Etwas Besinnliches, ja fast Antiseptisches liegt in ihrer Ausstrahlung, die von Momenten zittriger und gliederverdrehender Emotionalität unterbrochen wird. Leiser Sprechgesang und das dynamisierende Geräusch geschüttelter Kugeln (Gavin Bryars, Moondog) verstärken das Gefühl, Beobachter einer ungewöhnlichen Situation zu sein. Doch wer der Dreisamkeit in „Westward Ho!“ Auch zeitweise entschlüpft, er gliedert sich früher oder später wieder ein in diesen beschaulichen, schützenden Parallelismus. Erst als sich die graublau melierten Schlieren am Bühnenhintergrund einer Morgenröte gleich zu lichten beginnen, bricht das Trio entzwei.

Der Durchbruch zum wohl gefragtesten finnischen Choreografen seiner Zeit gelang Tero Saarinen mit diesem Stück schon 1996. Melancholie, wenngleich um einiges sinnlicher, schwingt auch im zweiten Stück des Abends mit. Wavelengths ist ein um Gefühle pulsierender (Musik: Riku Niemi) Pas de deux zwischen Mann und Frau mit starken Augenblicken im wortlosen Bewegungs-Dialog der beiden Tänzer, die eine Atmosphäre aufbauen, die in den Bann zieht. Das sich körperliche Wiederfinden der Partner in enger Umschlingung unter einem Schauer von lichtdurchflutetem Nebel ist die logische Abrundung einer dualen Grenz- und Identitätssuche.

Noch einen Schritt weiter geht Saarinen in seinem Solo „Hunt“. Gemeinsam mit der Multimediakünstlerin Marita Liulia hat er sich Strawinskys Sacre du Printemps zur Vorlage genommen, um die existenziellen, inneren Kämpfe und Vorgänge auszuloten, die ein Opfer im Bewusstseinsrausch seines Todes durchlebt. Statt jedoch die sich beständig steigernde Gewalt der Musik im Ausdruck seines muskulären Körpers wiederzuspiegeln, lässt er sich das Grauen in schnellgeschnittenen Bildern auf Kopf, Torso und weitgefächerten Tüllrock projizieren. Zerbrechlich und stark in einem – ob männlich oder weiblich, das spielt hier keine Rolle mehr -, löst sich seine Gestalt schemenhaft aus dem Dunkel. Langsam die in dumpfes Schweinwerferlicht getauchte Umgebung austastend, reckt und streckt er seine Glieder, sinkt zu Boden, oszilliert zwischen Passagen der Ruhe und ekstatischem Aufbäumen. Ein letzter Luftsprung im peitschend grellen Stroboskoplicht und die effektvolle Performance endet abrupt im schwarzen Nichts. Nur mitgerissen wurde man kaum. Was seine Ursache auch darin haben mag, dass (anders als vor zwei Jahren in Landsberg am Lech) viel von der emphatischen Wirkung und Intimität der Choreografie in der Weite des Carl-Orff-Saals verpuffte.

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