Zum krönenden Schluss: „La Dame aux camelias“

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St. Petersburg, 16/07/2003

Der Neumeier von vor 25 Jahren ist ihnen offenkundig doch der liebste, und so feierten sie denn am Schlussabend des Hamburger Ballettgastspiels in St. Petersburg im Mariinsky Theater seine „Dame aux camelias“, die Solisten, die Kompanie und ihn, den Ballett-Senator der Freien und Hansestadt an der Elbe ebenso herzlich wie ausdauernd. So ein schönes Ballett hätten sie wohl auch gern im Repertoire ihrer eigenen Truppe, so elegante Kostüme, mit so tollen Rollen für die Tänzer, akkompagniert vom Mariinsky Theater Orchester (eigentlich lauter Substituten, denn das ‚richtige‘ Mariinsky Orchester befindet sich mit seinem Chef derzeit wieder auf Westtournee – genau wie die Kollegen vom Mariinsky Ballett). Auch an diesem Abend sorgte Vello Paehn mit seinen Pianisten-Kollegen Volker Banfield und Richard Hoynes für den partnerschaftlichen Dialog zwischen Graben und Bühne.

Ein heißer Sommerabend, ein supervolles Haus, Bravi-Zwischenrufe, laufend Szenenapplaus und am Schluss das übliche rhythmische Klatschen. Am Anfang noch eine leichte Verwunderung bei der „Manon“-Theatervorstellung, deren dramaturgische Verzahnung mit der Kameliendamen-Story sich erst im Laufe des Abends legitimiert. Doch Silvia Azzoni und Alexandre Riabko tanzen das so fulminant, dass es hier schon den ersten Zwischenbeifall gibt. Exzellent wiederum das Hamburger Corps in seinen verschiedenen Aufgaben, auch die Nebenrollen: Ganz hervorragend charakterisiert Ivan Urban den leicht tölpelhaften Baron N sowie Susanne Menck in ihrer sorgenden Betulichkeit die Zofe Marguerite.

Bei den anderen bin ich vielleicht doch zu sehr von Stuttgart voreingenommen, um ihnen gerecht zu werden. Meine idealen Marguerite und Armand (in Neumeiers Version, sonst natürlich Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew) waren – nicht etwa Marcia Haydee und Egon Madsen, sondern in der Verfilmung Marcia Haydee und Ivan Liška. Hamburgs Anna Polikarpova und Lloyd Riggins sind natürlich reife, erfahrene Tänzer, die ihre Rollen durchaus individuell interpretieren, aber ich muss gestehen, dass mich beide nicht so mitreißen wie es in Stuttgart Birgit Keil und heute Sue Jin Kang tun – und Lloyd Riggins ist mir zu gesetzt für diese ganz gefühlsgespeiste Amour fou des Armand (ich würde ihn eher als Armands Vater besetzen). Und keiner hat meiner Meinung nach die Rolle des Gaston Rieux je besser getanzt, mit mehr süffisanter Arroganz, als Vladimir Klos – und hat es je einen rigoroseren Monsieur Duval gegeben als Reid Anderson (an diesem Abend war es Eduardo Bertini)?

Ein unbedingter Erfolg hier, diese Hamburger „Kameliendame“, die die Hamburger besser dreimal hätten tanzen sollen anstelle der die Russen doch sichtlich irritierenden dreimaligen „Möwe“. Aber hinterher weiß man es eben immer besser! Leider habe ich überhaupt nicht erfahren können, was die russischen Kollegen insgesamt von diesem Gastspiel halten. Eine ähnliche Situation ist mir bisher, wenn ich irgendwelche Kompanien auf ihren weltweiten Tourneen begleitet habe, überhaupt noch nicht begegnet. Ich bedauere das, denn in der Vergangenheit hatte es immer gute, auch kritische Gespräche mit den Kollegen gegeben. So werden wir wohl erst erfahren, wie die russische Kritik auf dieses Gastspiel reagiert hat, wenn sich die Hamburger entschließen, diese Kritiken in deutscher Übersetzung zugänglich zu machen.

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