Staatstheater Braunschweig: Nussknacker

Braunschweig, 28/11/2003

Auf Teufel komm raus die Geschichte vom Nussknacker aufzupeppen, auf Comedy-Show zu trimmen, warum nicht?! Schließlich liegt der Staub der Jahrhunderte auf dem scheinbar harmlosen Märchen im bürgerlich gemütlichen Ambiente – oder nicht? Henning Paar, Ballettchef am Braunschweiger Staatstheater, greift jedenfalls beherzt zu bei seiner Produktion, scheut vor keinem Bewegungs- oder Kostümkalauer zurück, verwendet dazu ohne Scheu Tschaikowskys geniale Musik, wenn auch mit einigen Umstellungen im Ablauf.

Bei ihm laufen per Joystick gesteuerten Plastikpuppen He-Man (kraftprotzig: Sascha Halhuber) und Super-Barbie (gewollt staksig: Andrea Svobodová) dem Nussknacker zu Anfang den Rang ab. Die Figur überreichte der verklemmte Drosselmeyer (Llewelyn Malan liefert eine verdruckste Bürokratenstudie ab), der im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielt. Die folgende Schlacht in der Nacht spielt sich zwischen dem auf Menschengröße gewachsenen Nussknacker und den beiden Puppen nebst deren Gefolge ab. Clara erledigt sie ohne große Umstände mit dem Holzschwert des Nussknackers. Ratten oder Mäuse, dunkel drohende Wesen aus den Tiefen von Alpträumen, tauchen bei Paar nicht auf, alles bleibt an der hellen Oberfläche.

Radikal verfährt Paar schon bei der musikalisch kostbaren Ouvertüre. Während sich das Orchester erfolgreich dem Stück widmet, geht plötzlich das Licht im Zuschauerraum an, die Türen öffnen sich, Gestalten in Alltagskleidung drängen sich zwischen die Sitzreihen, schwingen Tüten, Taschen mit Geschenken, veranstalten ein großes Buhei - die Musik bleibt auf der Strecke. Im ersten Bild liest Papa Zeitung, Fritz (Thiago Junqueira Fazio mit pomadig frecher Ausstrahlung) klebt das Handy am Ohr, Clara (Maida Kasarian) versucht zu zappen, und Mama dreht kurz vor der Bescherung durch, der Braten brennt an - mit anderen Worten: eine ganz normale Familie von heute. Bis auf die Anwesenheit von Oma und Opa, er sitzt im Lehnstuhle, sie legt kess eine senile Sohle aufs Parkett, köstlich trocken serviert von Annett Gurtler.

Soweit ist das ganz passabel trotz einiger unmotivierter Ausraster wie dem Lalala-Gesinge, mit denen Paar die Comedy-Schraube überzieht. In den folgenden Bildern überdreht er sie noch weiter, bis sie schließlich gänzlich leerläuft. Nach der Schlacht führt der Nussknacker/Prinz (edel, aber technisch etwas unsicher: Tiago Manquinho) Clara ins Märchenland, in dem ihr lauter putzige Wesen begegnen: wuselige Schneeflocken, die wie aufgepustete Federbälle ausschauen, gar bunte Blumen, darunter eine schwule Oberblume (zum Brüllen komisch), sechs Zwerge mit Handpuppe als siebentem Zwerg, Schneewittchens böse Stiefmutter, Einhörner, Aladin, chinesischer Kaiser plus Hausdrachen. Und die Zuckerfee, die Jana Ritzen auf Spitze mit bauchfreiem, hellem Kostüm verkörpert. Natürlich ist ihr nicht die originale Variation vergönnt, obwohl sie die Herausforderung wohl bestanden hätte. Sie erzeugt mit ihrem Zauberstab zwei, drei Knalle, mehr klappt nicht, allem Herumwedeln zum Trotz - Harry Potter im Anfangsjahr. Wie Paar diesen „Gag“ ausquetscht, ihn immer wieder aufs Tapet bringt, ist bezeichnend für den zweiten Teil des Abends. Keine (Comedy-) Nummer vermag Paar mit wirklich komischem Bewegungsmaterial zu legitimieren, er tritt lediglich den Quark breit. Das Publikum amüsiert sich darüber allerdings wie Bolle.

Ein Lichtblick: Maida Kasarian als Clara, sie erscheint anfangs als erfrischend freche und aufmüpfige Göre, um dann ihrem Prinzen die berührende Innigkeit einer Frau zu offenbaren. Technisch solide, gut platziert besticht sie mit sauberen Drehungen und schönem Bewegungsfluss, wo ihn Henning Paar denn zulässt. Dirigent Burkhard Bauche lässt das Orchester beherzt musizieren, meist mit klar durchhörbaren Strukturen, wenn auch manchmal zu knallig, zu grob. Beim Finale entfesselt er orchestrale Gewalten, die das magere Geschehen auf der Bühne überdröhnen. So, als wollte er sich für den „Einbruch“ bei der Ouvertüre rächen. Blumen- und Schneeflockenwalzer gelingen mit akzeptablem „Drive“, wenn auch mit zu wenig Charme und federndem Rhythmus.

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