Spoerli mit „Igor“ und „Josephslegende“

oe
Zürich, 16/03/2003

Ohne sonderliche Erwartung diesmal zu einer Nachmittagsvorstellung nach Zürich gefahren. Zwei Spoerli-Revivals: „Igor“ zu Strawinskys Konzert für Klavier und Bläser (Basel 1984) und Richard Straussens „Josephslegende“ (Duisburg 1992). Der Strawinsky musikalisch äußerst spröde und kontrapunktisch linear, Strauss dagegen überzuckert und melodienschwülstig. Beide musikalisch angemessen realisiert vom Orchester der Oper Zürich unter dem Dirigenten Christoph König, mit Spoerlis russischem Hauspianisten Alexey Botvinov (ein Ausnahmepianist mit Gewissen, der es in Russland abgelehnt hat, an Aufführungen von Fokines „Chopiniana/Les Sylphides“ mitzuwirken, „because for me this ritardando at every corner is really killing Chopin´s music“, so I did not want to be part of this musical nonsense“. Hört, hört!)

Dann die Überraschung: es sind genau die Gegensätze, die das Programm so reizvoll erscheinen lassen Der Strawinsky wird vor der Michelangelo-Projektion des Schöpfungs-Zitats als abstrakte Raumkomposition für ein Solopaar (Ana Quaresma und Akos Sebestyén) und neun Gruppenpaare getanzt. Er bietet klare Linien und Strukturen, konträre Blockbildungen, häufige Bodenstürze – so sperrig wie die Musik, die mit ihrer Rhythmik als Motor der Choreografie dient. Die tänzerische Ausführung wirkt wie eine vom Reißbrett auf die Bühne übertragene Architekturzeichnung.

Bei Strauss muss sich Spoerli gegen die übermächtige Wiener Konkurrenz von Neumeier mit Judith Jamison, Kevin Haigen, Franz Wilhelm und Karl Musil behaupten. Er tut es mit Anstand – soweit das die Besetzung mit ausschließlich eigenen Tänzern zulässt. Ich vermisse aber doch die dominierende Persönlichkeit der Frau Potiphar – da mag Karine Seneca noch so viel erotische Leidenschaft investieren, an das Format von Liselotte Köster, Natscha Trofimowa, Margot Werner, Tilly Söffing oder Monique Janoatta kommt sie nicht heran, von Jamison ganz zu schweigen.

So verlagert Spoerli den Konflikt geschickt auf die Auseinandersetzung zwischen Potiphar als ausgesprochen bisexuellem Mann (Stanislav Jermakov, entschieden der differenzierteste Charakter, der es zunächst auf Sulamith abgesehen hat – Marine Castel) und Joseph (François Petit, hin und her gerissen zwischen seinem göttlichen Auftrag und dem Bewusstwerden seiner erotischen Attraktivität), während die problematische Figur des Engels (Dirk Segers) als reiner Klassiker in kühler Eleganz durch die Morbidezza gleitet. Die Zeichnung der Hofgesellschaft eher konventionell, könnte mehr dekadente Züge tragen, dagegen zeigen sich die in flammendem Rot über die Bühne züngelnden Boxer aufgeladen mit animalischer Virilität. Insgesamt habe ich die melodische Süffigkeit der Musik unterschätzt, die auf mich wieder wie eine Droge gewirkt hat – sozusagen als musikalisches Viagra. Im zentralen Pas de deux zwischen Joseph und Frau Potiphar zündet Spoerli ein erotisches Feuerwerk, das an Explosivkraft nichts zu wünschen übriglässt. Schade, dass Ilja Louwen nicht mehr zum Zürcher Ballett gehört!

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