Peter Breuer und Christian Martin Fuchs: „The Wall“

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Salzburg, 30/12/2003

Pink Floyds „The Wall“: das war schon 1979 nicht mehr meine Musik (so sehr ich mich vorher noch für Elvis Presley und die Beatles begeistert hatte). Und heute, ein Vierteljahrhundert später? Im republic, Salzburgs Ersatzszene, während das Landestheater zwecks Generalüberholung geschlossen ist, komme ich mir im Publikum der etwa Fünfhundert vollends zur Opa-Generation gehörig vor. Es ist die 27. von 28 Vorstellungen von Peter Breuers Ballett „The Wall“. Die Besucher sind spürbar animiert. Und ich? Staune über mich selbst! Nicht etwa, dass ich mich mit der turbulenten Aktion auf der Bühne identifizieren könnte. Aber ich bin hingerissen von der theatralischen Force, die mir da von der Bühne entgegenbrandet, von dem Enthusiasmus, mit dem die anderthalb Dutzenden Tänzer bei der Sache sind. Und sogar von ihrer Technik! Die Leute können drehen, dass einem der Kopf schwirrt – als ob sie jeden Tag ein spezielles Pirouetten-Training absolvierten (und ganz besonders Alexander Pereda als Worm, mit seiner geradezu diabolischen Ausstrahlung).

Breuer hält sich ziemlich eng an die Story des Textes, den Ausbruchsversuch von LittleBoy aus den Zwängen der Erwachsenenwelt. So wird ein richtiges Handlungsballett daraus. Nichts für Innovations-Fundamentalisten. Wohl aber fürs Publikum, das sich an erkennbare Gestalten und Aktionen halten kann. Die Choreografie: der übliche Mix aus Modernclassic, Rock, Pop, Musical – fabelhaft erfindungs- und abwechslungsreich, mit fantastischen, sehr unterschiedlichen Pas de deux, mit kühnen Wurf- und Fangakten – alles mit Hochspannung aufgeladen, inklusive der durchchoreografierten Beleuchtungsregie. Eine veritable tanztheatralische Tour de force – aber eben eine wirklich getanzte!

Das versteht Breuer: seine Tänzer theatralisch zu motivieren. Und die zahlen es ihm heim mit hoch individualisierten Rollenporträts. Adrian Bercea ist LittleBoy, Ausbrecher und Rockstar (wäre auch eine Rolle für Eric Gauthier), der dann als Leidender und Gequälter – fast scheue ich mich, es zu sagen, König Lear- und Christus-Format suggeriert. Man muss ihn einfach lieben! Und Marian Meszaros als FatMan, sein Freund – ein eher spilleriger Typ, aber was für ein aufgesteilter Tänzer! Bernhild Thormaelen und Gustav Haderlein als die beiden Psycho-Psychiater – regelrechte Frankenstein-Monster – und doch, wie sie da im Gehirn von LittleBoy herumstochern, erscheinen sie mir wie Nachfahren der Hexe Madge aus Bournonvilles „La Sylphide“. Und so müsste ich fortfahren und Cristina Uta für ihre zärtliche mütterliche Wärme preisen, und Maria Gruber für ihre gouvernantenhafte School Mistress, und die so unterschiedlich charakterisierten (Christian Spuck, please listen!) Maria Veljkovic als LittleBoys Freundin und Aline Melis als Lovely Rita.

Nicht alle habe ich identifizieren können. Aber das liegt auch daran, dass doch relativ viel Text am Ohr vorbeirauscht. Doch, wie gesagt: ein spannender Theaterabend an diesem vorletzten Tag des Jahres in Salzburg. Und ein Produktion, von der ich mir vorstelle, dass sie unweigerlich Furore machen würde, wenn sie einer unserer Tanz-Einkäufer für Ludwigsburg, Heilbronn, Ludwigshafen, Leverkusen oder Neuss akquirieren würde. Ihr Publikum würde es ihnen bestimmt danken. Mir allemal lieber als die postsowjetische Moderne von Gospodin Boris Eifman aus St. Petersburg.

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