Corpo di Ballo del Teatro alla Scala mit Balanchines „Sommernachtstraum“

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Baden-Baden, 04/07/2003

Eine Vorstellung zum Verlieben schön, so dass man sie am liebsten gleich ein zweites Mal hätte sehen wollen. Das war die Premiere des dreitägigen Gastspiels des Balletts der Mailänder Scala im Festspielhaus Baden-Baden mit Balanchines „Sommernachtstraum“ – erstmals seit 18 Jahren wieder in der Bundesrepublik. Taufrisch nach der Mailänder Premiere am 21. Mai, die noch unter dem Anspruch der europäischen Erstproduktion segelte (während sich inzwischen herausgestellt hat, dass die bereits 1979 in Zürich stattfand). Leider ohne die beiden Spitzenstars Alessandra Ferri und Roberto Bolle, die offenbar anderorts lukrativer beschäftigt waren. Doch was tat‘s!

Die Kompanie, die nach mancherlei Irritationen in der jüngeren Vergangenheit unter der ebenso energischen wie umsichtigen Leitung des ganz europäisch formierten Frédéric Olivieri (Franzose-Italiener, circa vierzig Jahre alt) wieder Fuß gefasst hat, präsentierte sich auch ohne sie in Topform, perfekt balanchinesiert von Patricia Neary und Sara Leland. Mit einer Solistenequipe, die den enormen Rollenansprüchen (zwölf an der Zahl) bestens gerecht wurde, mit Marta Romagna (Titania) und Mick Zeni (ihr Kavalier) als ideal aufeinander eingetanztem Pas-de-deux-Paar, wunderbar weich und fließend, und einem Corps, das die hohe Schule der von Carlo Blasis‘ begründeten Bella-danza-Tradition (als tänzerischem Pendant zum Belcanto des Gesangs) im Kristallschliff präsentierte – einem Corpo di Ballo, in dessen Adern Musik pulst.

Und da die an diesem Abend ausschließlich von Felix Mendelssohn-Bartholdy stammte (im Gegensatz etwa zu den „Sommernachtstraum“-Balletten von John Neumeier und Heinz Spoerli) und der Choreograf George Balanchine hieß, wurde es eine Vorstellung, die die Ästhetik des klassischen Balletts in höchster Vollendung demonstrierte. Begleitet wurde sie von der Baden-Badener Philharmonie unter der Leitung von David Garforth, so dass zum höchsten Glück nur noch die Beteiligung der Solovokalisten und des Chors fehlte. Eifrig mit von der Partie war die putzige Kinderschar der Ballettschule Ronecker in Fellbach, sozusagen das Nachwuchsreservoir der großen Baden-Badener Ballettproduktionen. Man weiß ja, dramatische Handlungsballette gehörten nicht eben zu Balanchines Stärken und sein zweiteiliger „Sommernachtstraum“ von 1962, der im ersten Akt die Aktion kurz und knapp zusammenfasst, um sich dann im zweiten Akt anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten umso verschwenderischer in einem Divertissement zu verströmen, bildet da keine Ausnahme.

Von Shakespeare übernimmt er gewissermaßen nur die Stichworte der Handlung und ihrer Charaktere, die er allerdings präzise und unmissverständlich choreografisch formuliert, fußend auf der großen Petipa-Tradition. Wer Shakespeare aus der Sicht Jan Kotts und seines „Titania und der Eselskopf“ interpretiert, stößt hier rasch an Grenzen. Denn Balanchine ist in seiner Konzeption weniger von Shakespeare als von Mendelssohn ausgegangen – jenem Mendelssohn, der auf seiner Italienreise 1830/31 Shakespeares Komödie in seinem Gepäck mit sich führte. Und wie Mendelssohn sich in Shakespeare verliebte, so verliebte sich Balanchine in Mendelssohn, so dass sein Ballett Mendelssohns Musik aus allen Poren schwitzt – ein Traum an Musikalität! Und die fabelhaften Tänzer von der Scala taten nun ein Übriges und reklamierten Mendelssohn als einen italienischen Komponisten – sozusagen in Abwandlung seines Ouvertüren-Titels als einen „Heimkehrer aus der Fremde“ – nämlich aus seiner russisch-amerikanischen Ballett-Fremde und speisten ihn mit ihrem italienischen Tänzerblut, dem noch immer ein paar Tropfen Rossini, Bellini und Donizetti beigemischt sind.

Dazu passte auch die neue Ausstattung, die von Luisa Spinatelli stammt – im Design eines „Sogno d‘una notte d’estate“-Panettone der Pasticceria Motta aus der Galleria Vittorio Emanuele di Milano. Übrigens schön zu sehen, dass Baden-Baden im Gegensatz zu den meisten anderen Städten auch in den schwieriger gewordenen Zeiten zu seinem in der jüngeren Vergangenheit so großzügigen Sponsor Alberto Vilar hält, der durch die Börsenverluste der letzten Zeit in eine finanzielle Klemme geraten ist und seine Förderung notgedrungen reduzieren musste. Indessen hoffen beide Seiten auf eine baldige Fortsetzung der für Baden-Baden so profitablen Zusammenarbeit.

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