Strawinsky-Abend von McClain, de Ruiter und Gomes

Schwierigkeiten mit dem weiblichen Geschlecht

Mannheim, 30/01/2002

Wenn Mark McClain, dem neuen Ballettdirektor des Mannheimer Nationaltheaters, hinreichend Zeit zu einer ruhigen, weit vorausschauenden Planung und Arbeit gegeben würde, dann stünde der Truppe wohl eine attraktive und künstlerisch interessante Periode bevor, das hat seine jüngste Premiere mit einem Strawinsky-Programm deutlich gezeigt. Aber leider gibt es bereits jetzt Gerüchte des Inhalts, dass McClains Direktion nur eine Interimslösung bleiben wird. Der leistet derweil unverdrossen Basisarbeit. Drei Uraufführungen zu überwiegend live gespielter Musik des bedeutendsten Tanzkomponisten des vergangenen Jahrhunderts – das ist eine bemerkenswert stringente Konzeption, auch wenn McClains eigener Beitrag der schwächste des Abends ist.

Bemerkenswert auch, welch starker Stuttgarter Einfluss bereits jetzt in Mannheim zu erkennen ist. Der einstige Stuttgarter Publikumsliebling hat immerhin seinen früheren, nicht minder umschwärmten Kollegen Benito Marcelino als Gast und Anelia Markova als Compagnie-Mitglied verpflichten können, Hans Späth und Stefan Morgenstern fungieren als Bühnenbildner, und Tunç Sökmen ist Ballettmeister.

McClains „Second Touch“ zum von Nóra Emödy und Ahmed Abou-Zahra vorzüglich gespielten Concerto per due pianoforti soli ist, bewusst oder unbewusst, eine tiefe Verbeugung vor George Balanchine, dem wichtigsten Strawinsky-Choreografen überhaupt. Wie im „Duo concertant“ die Flügel auf der Bühne, wie in den „Vier Temperamenten“ unterschiedliche Wesenszüge als Thema – hier Violent, Gentle, Educated und A different approach –, schlichte, rostrote Trikots und ein Bewegungsmaterial, das wie leicht verfremdeter, mit komplizierten Hebungen angereicherter Balanchine anmutet. Fünf Paare mit Veronika Kornová und Marcelino als zentralem und einem großen Pas de deux im zweiten Satz, tanzen ihre nicht sonderlich ausgeprägten Charakterzüge, bis sie am Ende das zankende Hauptpaar mit Gewalt besänftigen. Dazu lässt Späth farbige Segel aus dem Bühnenhimmel sinken und holt sie wieder ein. Ein etwas spannungsarmes Werk, das überdies zeigt, dass McClains Vorgänger Philippe Talard seine Tänzer nicht für derlei Stücke ausgesucht hat. Insofern also eine unglückliche Wahl.

„Chymia“ des Holländers Pieter de Ruiter zeigt zu einer Tonband-Collage aus sakralen Werken Strawinskys und elektronischer Musik von Chris Heyens zwei Paare im Zwiespalt, die einander zwar nicht mögen, aber doch nicht voneinander lassen können. Die Damen in weißen Tutus, gleichwohl mit nackten Füßen, die Herren in weißen Unterhosen, tanzen skurrile Aktionen, verfallen immer wieder in eine Starre, heben sich, rempeln sich an, pflegen ihre Obsessionen – eine seltsame Stimmung aus Aggression und Sehnsucht, Lethargie und Bewegungswut beherrscht dieses sehr originelle Stück, in dem es nur einen Gleichklang gibt, wenn Männer und Männer und Frauen und Frauen zugleich tanzen. Am Ende schildert Enrique Gasa Valga dem Publikum in einer hinreißenden Pantomime seine Schwierigkeiten mit dem weiblichen Geschlecht und erntet dafür mitfühlende Bravorufe.

Der Brasilianer Antonio Gomes hatte es auf sich genommen, die höchste künstlerischen Hürde zu erklimmen, die Strawinsky je errichtet hat. Und die Musik von „Le sacre du printemps“ erweist sich hier, wie in den meisten anderen Choreografien ebenfalls, als unnachgiebige Zuchtmeisterin des Tanzes. Das Orchester des Nationaltheaters spielt Jonathan McPhees Fassung für kleinere Besetzung unter der Leitung von Wolfram Kolesus unerhört akzentuiert und pulsierend, während auf der Bühne mit rudernden Armen und schaukelnden Hüften zwei Clans gegeneinander kämpfen, was im zweiten Teil zur Folge hat, dass Claudia de Smet als L'Elué zunächst einen Jungen tötet und später selbst geopfert wird.

Gomes' Inszenierung und Choreografie, mit denen er sich Waslaw Nijinskys Original annähern will, bestechen durch ihre Ernsthaftigkeit und das Vermeiden vordergründiger Effekte, sie sind sehr genau auf die Stärken ihrer Interpreten abgestimmt und gehören deshalb fraglos zu den besseren „Sacre“-Versionen. Daran hat ihr Bühnenbildner Stefan Morgenstern mit seinen Videoprojektionen, dunklen Hängern und dem im Dunkel hängen Bonsai großen Anteil, dessen Wirkung er allerdings am Ende wieder nachhaltig verdirbt. Claudia de Smet eröffnet das Stück als Mutter Erde, indem sie sich von einem großen Beet aus Gummisand erhebt und mit ihrem viele Meter langen, weißen Kleid (Gomes) die Körper der Menschen freigibt. Dieses Kleid wird später ihr Totenkleid sein, in dem sie, von Rosenblättern umflirrt, in den Himmel fliegt. Aber bis sie sich hinter dem umständlich aufgeblähten Stoff den Gürtel mit den Stahlseilen umgelegt hat und endlich abfliegen kann, vergeht furchtbar viel Zeit, die das Orchester zu einer langen, desillusionierenden Pause zwingt. McClain hätte dem Choreografen und dem Bühnenbildner von Glen Tetleys anfänglichen Münchner und Stuttgarter Problemen mit dem gleichen, verfummelten Effekt erzählen sollen. Dennoch – sein neuer Ballettdirektor hat das Mannheimer Ballett auf einen guten Weg gebracht. Hoffentlich kann er ihn noch lange gehen.

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