Noch nie – nie wieder
„Farewell!“ - Der allerletzte Auftritt des Kevin O’Day Balletts in Mannheim
Eine Übergangsspielzeit also! Man erinnert sich: Philipp Talard, jahrelang in Mannheim durchaus erfolgreich, wurde auf doch recht unschöne Weise aus heiterem Himmel im letzten Sommer plötzlich gegangen – Mark McClain, unverändert Stuttgarter Publikumsliebling, auch er auf ziemlich schnöde Art fristgerecht verabschiedet, wurde mitten in den Ferien als Ersatz-Ballettchef ausdrücklich nur für eine Spielzeit engagiert, damit der Intendant Zeit gewinnen konnte, sich nach einer Person seiner Wahl umzusehen.
Nun hat es den Anschein, als ob er gleich doppelt fündig geworden ist, denn wenn die Gerüchte stimmen, wird es wohl in Mannheim zur nächsten Spielzeit gleich zwei Chefs geben, die sich beide in Stuttgart ihre ersten europäischen Sporen erworben haben: Kevin O‘Day und die Kanadierin Dominique Dumais. Keine sonderlich erquickliche Situation für McClain – zumal mit der Auflage, einen dreiteiligen Strawinsky-Ballettabend herausbringen zu müssen.
Das Publikum ließ sich von solcherlei Gezerre offenbar nicht beeindrucken, füllte das Haus und zeigte sich außerordentlich beifallsentschlossen. Gute Stimmung also oben auf der riesengroßen Bühne und im Saal mit seinen so wunderbar sichtfreien Plätzen. Auf dem Programm drei Stücke! Zur Introduktion von McClains „Second Touch“ zu Strawinskys Concerto per due pianoforti soli – live gespielt von Nóra Ermödy und Ahmed Abou-Zahra – ein Kammerballett, neoklassisch, für drei Paare und ein Solopaar, das Strawinskys lineare Strukturen in den Raum projiziert, mit Andeutungen menschlicher Befindlichkeiten. Durchaus musikalisch, aber doch ziemlich belanglos – Benito Marcelino (auch er ehemals ein Stuttgarter Publikumsfavorit – schade, dass er der Ballettwelt inzwischen fast ganz verlorengegangen ist) eher unterfordert (mit Veronika Kornová als Partnerin). Als Visitenkarte nicht schlecht, aber etwas charaktervoller, mit mehr Biss hätte es schon sein dürfen.
Danach dann der Holländer Pieter de Ruiter mit „Chymia“, was immer das heißen soll, ein Pas de quatre aus der Van-Manen-Manufaktur, die beiden Damen in klassischen Tutus aber barfuß (die eine scheint ständig damit beschäftigt, irgendeine Unreinheit an ihrem Tutu wegputzen zu wollen), der eine Mann (der attraktive Rafael Valdivieso) im Boxkampf mit einem unsichtbaren Gegner verstrickt und mit privaten Zwischenaperçus ans Publikum gewendet. Der Zusammenhang mit der Musik (geistliche Werke von Strawinsky und elektronische Musik von Chris Heyens) bleibt mir schleierhaft. Eins jener Ballette, die lediglich Rätsel aufgeben, aber nicht interessant genug, dass sie einen Denkprozess auslösten.
Und zum Schluss also Antonio Gomes aus Sao Paulo, der auch schon in Berlin und Braunschweig gearbeitet hat, 45 Jahre alt und in seinem Opuskatalog bereits bei Nummer 71 angelangt, mit seiner Kreation für Mannheim von Strawinskys „Sacre du printemps“, vom Nationaltheater-Orchester unter der Leitung von Wolfram Koloseus animierend gespielt (mit einem Supermann an der Pauke).
Ein bisschen viel Kinkerlitzchen-Dekor ohne sonderliche dramaturgische Funktion von Stefan Morgenstern, doch eine Choreografie, durchaus kraftvoll, eng an die Musik gebunden, klare Raummuster, charakteristische Rollenprofile (Claudia de Smet, Enrique Gasa Valga, Veronika Kornová, Nathanael Marie), kontrastreich mit tollen Soli (aber wenn sich Mannheim schon einen Gast vom Format Marcelinos leistet, warum ist der dann in „Sacre“ nicht eingesetzt). Jedenfalls ist dieser Südamerikaner ein Mann, der sein Handwerk (das er offenbar bei Béjart gelernt hat) durchaus versteht und seine vierzehn Tänzer vorteilhaft präsentiert. Für eine Kompanie, die nicht recht weiß, wie´s mit ihr weitergeht, mit bemerkenswert heißblütiger Attacke getanzt. Von diesem Gomes würde ich gern mehr sehen.
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