Salzburger Gastspiel mit Peter Breuers „Thérèse Raquin“

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Ludwigshafen, 07/06/2002

Laut Reclams Ballettlexikon „zu Beginn der achtziger Jahre der prominenteste deutsche Tänzer im In- und Ausland“, leitet Peter Breuer seit 1991 das Ballett des Salzburger Landestheaters. Sein Handwerk hat er bei Peter Roleff, Gustav Blank und Victor Gsovsky gelernt, dann als langjähriger Topsolist bei Erich Walter in Düsseldorf-Duisburg und beim London Festival Ballet vervollkommnet.

Jetzt kam er mit seiner kleinen, picobello konditionierten Kompanie (die viel größer aussieht als sie wirklich ist) zum wiederholten Mal ins Ludwigshafener Pfalzbautheater für ein paar Vorstellungen seines abendfüllenden Tanztheaterstücks „Thérèse Raquin“ – frei nach dem gleichnamigen Roman von Emile Zola. Zusammen mit der unter der Leitung von Kai Röhrig spielenden Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz (und nicht etwa, wie inzwischen leider üblich, mit einer Tonbandkonserve) – was dem ganzen Abend eine zusätzliche Qualitätsdimension bescherte und umso erfreulicher war, da es sich immerhin um eine Auswahl anspruchsvoller konzertanter Werke von Arvo Pärt, Alfred Schnittke und Henryk Górecki handelte.

Ich fuhr voller Beklemmung nach Ludwigshafen: würde der von mir als Tänzer sehr verehrte Peter Breuer als Ballettchef seinem internationalen Ruf gerecht werden? Er wurde! Und erwies sich dabei als ein Vollblut-Theatermann, ein Überlebender der allmählich offenbar vom Aussterben begriffenen Spezies der tänzerischen Geschichtenerzähler. Zusammen mit Pet Halmen (der für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnete) hatte er als Regisseur und Choreograf das Konzept für die Verwandlung der Romanvorlage in ein spannendes, atmosphärisch dichtes Theaterstück mit glänzend funktionierender Dramaturgie und exakt profilierten Rollencharakteren entworfen, das den Solisten wie dem Corps dankbare Möglichkeiten bot, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Bei aller Problematik, die solchen tänzerischen Adaptionen von Werken der Weltliteratur naturgemäß innewohnt: durch die Konzentration der linear nacherzählten Handlung auf die verbrecherische und tödliche amour fou der Liebesbeziehung der beiden Helden und ihres Ausbruchsversuchs aus ihrem spießbürgerlichen Arme-Leute-Milieu sind Breuer/Halmen im Sinne Zolas verfahren, der den Wunsch gehabt hatte, „in den Gegebenheiten eines kraftvollen Mannes und einer unbefriedigten Frau das Tier aufzuspüren ... nichts zu sehen als die Bestie und ... an zwei lebendigen Körpern die analytische Arbeit durchzuführen, die die Chirurgen an Leichen vornehmen.“

Das ist ihnen mit der Transposition des Stoffs in ein Magritte‘sches Environment von exquisiter ästhetischer Delikatesse gelungen, das brillant die Möglichkeiten der Drehbühne zur Etablierung zweier Ebenen nutzt: der realistisch-grotesken Aktion und ihrer Überhöhung in die surrealistische Dimension. Einziger Vorbehalt: die allzu breite Ausdehnung einzelner Szenen, die aber leicht zu erklären ist: Breuer ist einfach ein zu musikalischer Choreograf, um sich schmerzliche Eingriffe in die Partitur zu erlauben.

Es gibt vier Hauptrollen in dem Ballett, die ganz individuelle Realisierungen erfahren. Bernhild Thormaehlen, aus alten Düsseldorfer Tagen auf die Bühne zurückgeholt, als verwitwete Madame Raquin, die gluckenhaft über ihrem lebensuntüchtigen Sohn brütet und nach seinem Tod (seiner Ermordung durch die mit ihm zwangsverheiratete Nichte) schlaganfallgelähmt an ihren Rollstuhl gefesselt ist: eine außerordentlich schwierige Rolle, die sie mit konzentrierter Hochspannungsintensität erfüllt. Dann ihren Sohn Camille, der als Eric Assandri seine Miserabilität durch Gewalttätigkeit kompensiert. Und schließlich das verbrecherische Liebespaar: Maria Gruber in der Titelrolle, die geradezu explosiv aus der Frustration ihrer Ehe ausbricht und Ararat Chinarian als ihr Liebhaber und Komplize, ein unwiderstehlich animalischer He-Man, eben Zolas „Bestie“, der nicht zuletzt durch seine schnittige Virtuositätstechnik und sein erotisches Charisma besticht.

Vielleicht sollte Renato Zanella aus Wien mal nach Salzburg fahren, um zu sehen, wie man mit relativ bescheidenen Mitteln ein perfekt funktionierendes Handlungsballett zustande bringt!

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