So aufregend wie stilles Wasser

„La vie heureuse“ der Compagnie Drift aus Zürich in Ludwigsburg

Ludwigsburg, 25/06/2002

Warum soll sich die verdienstvolle und ambitionierte Tanzreihe der Ludwigsburger Schlossfestspiele nach ihrem bisher so furiosen Verlauf nicht einen kleinen künstlerischen Durchhänger leisten können? Ein eher etwas belangloses und oberflächlich vor sich hin witzelndes Tanzstück passt doch ganz gut in die Gluthitze der urigen Karlskaserne. Genau das hat die Compagnie Drift aus Zürich mit ihrem einstündigen „La vie heureuse“ (Das glückliche Leben) zum Vergnügen des Publikums denn auch geboten.

Als Beatrice Jaccard, Peter Schelling und Massimo Bertinelli vor fünf Jahren als noch namenlose Truppe mit „Terrain fragile“ im Stuttgarter Rotebühltreff aufgetreten sind, da irritierten und bezauberten sie durch diffuse, kaum fassbare Ereignisse und Gefühle, durch tänzerische Brillanz und darstellerische Raffinesse – heute, um Marisa Godoy und Michael Rüegg erweitert, hat sich die Compagnie ganz auf die vordergründige Skurrilität verlegt, auf das Präsentieren unerwarteter Ereignisse und leider auch das ständige Wiederholen von Gags. Wenn sich einer, der in einer Wand eine Klappe entdeckt und in ihr verstohlen eine lästige Papierserviette deponiert, bis er, erst einmal in Fahrt gekommen, geradezu lustvoll minutenlang Unmengen von Abfall aus zahllosen Taschen in Hose und Hemd in dieser Klappe verstaut, dann ist das schon erheiternd und auch ein wenig abstrus. Aber wenn die fünf ständig wie Monsieur Hulot aus den vielen Türen eben dieser Wand hervoreilen und wieder in ihnen verschwinden, dann ist das auf die Dauer mehr ermüdend als erheiternd.

Den Grundstock ihrer gemeinsam entworfenen Choreografie und ihres Bühnenbildes haben die Mitglieder von Drift offenkundig in den albtraumhaft-tragikomischen Tanzstücken des genialen, französischen Ungarn Josef Nadj gefunden, dessen Werke, vor Jahren ebenfalls bei den Schlossfestspielen zu sehen, freilich eine unvergleichlich höhere Qualität haben. Wenn bei ihm Menschen und Körperteile aus den Wänden quellen, Menschen voneinander Besitz nehmen und sich zu den sonderbarsten Knäueln formen, dann fühlt der Zuschauer die Realität mindestens auf den Kopf gestellt, wenn nicht gar zwei- oder dreifach gewendet.

Aber wenn sich hier Männer und Frauen zur schlendernden Synthesizer-Musik und -Percussion von François Gendre und Bertinelli voreinander produzieren, die Frauen plötzlich verschwinden und die Männer dumm gucken – ganz lustig. Und wenn aus den Klappen der riesigen Wand drei Oberkörper auftauchen und Kaffee, Zeitung und Kartenspiel in der Vertikalen genießen – auch nicht schlecht. Doch dem allem fehlt der große, zündende Gedanke. Männer und Frauen passen nicht zueinander, das zeigt ein langer Pas de deux, in dem zwischen die Köpfe der beiden ständig eine Aktenmappe gehalten wird und sie deshalb nie ihre Gesichter sehen können. Doch dann folgt der gleiche Gag mit einem anderen Paar, dass nie zu einem gemeinsamen Rhythmus finden kann. Die angekündigte untergründige Tragik war gleich gar nicht auszumachen.

Ein ganz netter Abend also, mehr Slapstick als Kafka, der allen Ernstes im Programmheft erwähnt wird, so aufregend wie stilles Wasser, so originell, wie zweite Aufgüsse eben sind. Am gelungensten war noch jene Szene, in der ein Mann einem anderen so lange und so eindringlich etwas ins Ohr flüstert, bis dieser vor Schrecken zu Boden geht und selbst dort noch keine Schonung erfährt. Aber da war auch schon Schluss.

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