Irina Pauls „Mit dem Feuer spielen“

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Heidelberg, 13/09/2002

Vorsicht, dies ist immerhin Freitag, der dreizehnte! Und so kamen wir denn auch prompt zehn Minuten zu spät wegen des Verkehrsaufkommens auf der Autobahn! Haben wir etwas versäumt? 1957, vor bald fünfzig Jahren, schuf Maurice Béjart mit seiner „Sonate à trois“ (zu Bartóks Sonate für 2 Klaviere und Schlagzeug) einen Klassiker des modernen Balletts – basierend auf Sartres „Huis clos“: zwei Frauen und ein Mann, die sich, in einem Raum zusammengesperrt, das Leben gegenseitig zur Hölle machen. Das hatte eine diabolische Stringenz, war von einer atemlosen dramatischen Bravour und einer funkenstiebenden Erotik.

Nun also lud Irina Pauls im Heidelberger Theater zu ihrer ersten Premiere der neuen Saison – mit einer neuen Kompanie (deren Mitglieder offenbar überwiegend aus der Hinterlassenschaft Talards im nahen Mannheim stammen): „Mit dem Feuer spielen“ – Tanztheater nach der Komödie von August Strindberg.

Strindbergs so betitelte Komödie? Nie gehört! Und auch der sonst so verlässliche „Kindler“ versagt ausnahmsweise seine immer sehr geschätzte journalistische Entwicklungshilfe. Also sind wir ganz auf die Notiz der für künstlerische und organisatorische Mitarbeit verantwortlichen Ina Zimmermann und Claudia Magasitz angewiesen: „Das Beziehungsgeflecht von fünf Figuren, die sich in kürzester Zeit aus einem stabilen Zustand heraus in ein Stadium der Eskalation bringen, ist Zündstoff für die Choreographie von Irina Pauls. Grundlage bildet die 1892 entstandene Komödie von Strindberg. Irina Pauls arrangiert eine Versuchsanordnung, der Stoff wird zum Psychothriller.“

Wird er? Versuchsanordnungen sind totschick auf dem Theater. Mozarts „Così fan tutte“ ist ein so neuerdings gern strapaziertes Vehikel – siehe Doris  Dörries jüngste Inszenierung an der Berliner Staatsoper und ihren soeben in Venedig uraufgeführten Film „Nackt“ und fast alle Produktionen von Sasha Waltz und auch Schlömers „I Go to the Body“ gehören dazu.

Ich habe zwar lieber richtig handfeste Stücke (wie Béjarts „Sonate à trois“) – doch sei‘s drum! Die Bühne von Katja Schröder (von der auch die Alltagskostüme stammen): ein sehr schöner, durch seine Mahagoni-Täfelung warm timbrierter, eleganter Raum, mit Sonnenschutztüren zum Park, ein Salon vielleicht, sehr stimmungsdifferenziert beleuchtet von Kai Metzler – darin ein Mann am Flügel, Matthias Engelke, offenbar ein Allroundtalent, versiert im Klassischen als auch in der Elektronik und in den diversen Popformen, die er je nach Bedarf improvisiert (nebenbei promoviert er derzeit am Institut für Molekulare Virologie der Universität Heidelberg) – und einen Eisschrank gibt‘s auch, aus dem sich die sechs auf der Bühne, zwei Tänzerinnen (Barbara Antoinette Haegi und Unita Gay Galiluyo) und drei Tänzer (Gary Joplin, Jean-Hugues Assohoto und Thomas Maximilan Maucher) fallweise bedienen, und das tut auch der Pianist.

Die also katapultieren sich in achtzig pausenlosen Minuten in diverse Stadien der Eskalation: fünf Personen auf der Suche nach einem zu nichts verpflichtenden Quickie voller heftiger Aggressionen und Unterwerfungen, Short Cuts Beziehungskisten, mal mehr maso, dann wieder primär sado sowie alles, was dazwischen liegt, lauter Tänze, heftig, wütend, mit harten Kicks, die üblichen Körperverschlingungen und Transportaktionen, auch das Über-den-Boden-Schleifen von Bodies – ein Mix von Mini-Dramen in stets neuer Zusammensetzung. Nach einer Viertelstunde könnte es zu Ende sein, aber es geht eben diverse Viertelstunden noch so weiter. Eine Struktur konnte ich nicht entdecken. Und auch keine Entwicklung auf einen bestimmten Punkt zu (weil ich den Anfang versäumt hatte, in den der Schluss möglicherweise wieder einmündete?).

Wenn ich bedenke: all dieser Probenaufwand und dieser Vorstellungsschweiß, und diese Einbildung der Tänzer, dass sie mit all ihrem echauffierten Getue und Gehabe auf der Bühne die Herzen und Hirne der Zuschauer erreichen – wen interessiert denn das? Keiner der Tänzer, der sich außer seiner Physiognomie durch sein persönliches Temperament, meinetwegen seinen Tick, seine Verschrobenheit, seine Menschlichkeit einprägte. Am Schluss fragte ich mich wieder, wie heute so oft: Was soll‘s? Ein Psychothriller? Ja, hat es denn nie einen Hitchcock gegeben?

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