Im Friedrichstadtpalast: „Wunderbar - Die 2002. Nacht“

oe
Berlin, 02/07/2002

Ein Abstecher, der gelohnt hat! Die Erinnerungen an meinen ersten Besuch im alten Berliner Friedrichstadtpalast am Schiffbauerdamm – nein, bis in die sagenhafte Max-Reinhardt-Ära gehen sie denn doch nicht zurück (so alt bin ich nun auch wieder nicht!), doch immerhin bis in den Krieg, wo ich hier im damaligen „Theater des Volkes“ meinen ersten „Zigeunerbaron“ und „Frau Luna“ sah. Ein entscheidendes Datum war dann in den fünfziger Jahren das Ballettgastspiel mit einer aus den besten Tänzern von Moskau und Leningrad bestehenden Truppe: Ulanowa, Kolpakova, Plissetzkaja, Strutschkowa – Schdanow, Farmanjantz, Solowjow, Sergejew ... Das waren noch Zeiten!

Und nun also erstmals im Haus an der Friedrichstrasse: knapp zweitausend Plätze, sieben Vorstellungen pro Woche, schätzungsweise 1700 Besucher an diesem Dienstagabend für die seit März laufende Revue „Wunderbar - Die 2002. Nacht“. Habe schon lange keine Revue mehr gesehen – zuletzt in Las Vegas und New York sowie, natürlich, in Paris. Doch Berlin kann da durchaus mithalten. Ja, ich meine, Berlin hat auf diesem Gebiet eine Identität zu bieten, von der sich die drei lokalen Ballettkompanien eine Scheibe abschneiden können. Ballettdirektor der mit Radio-City-Music-Hall-Präzision tanzenden, ansehnlichen Truppe, ist Roland Gawlik, seinerzeit Startänzer bei Tom Schilling an der Komischen Oper und einer der ganz wenigen übrig gebliebenen, nicht abgewickelten Tanzprofis aus DDR-Tagen. Meinen Glückwunsch!

Die Show beginnt kurioserweise mit einem Mörike-Zitat, enthält sich im Übrigen aber gottlob aller intellektuellen Kraftanstrengungen. Ausgangspunkt ist die sattsam bekannte Scheherazade-Story, die im ersten Teil alle möglichen Szenen aus den Erzählungen von „1001 Nacht“ bringt – und im zweiten Teil dann in ein modernes Ambiente, eben die „2001. Nacht“ überleitet – sozusagen die „Post-Scheherazade"“, weich umspült von den sehr à la Lloyd-Webber Klängen Thomas Natschinskys, die sich dann später auch auf Ravelsches und Nymansches Territoirum vorwagen.

Dazu gibt es nun Glanz und Glitzer, dass einem die Augen übergehen: auf dem Boden, in der Luft und im Wasser – alles von gediegenstem handwerklichen Know-how – Tanz, Tanz, Tanz – man reibt sich die Augen, als ob plötzlich das Grüne Gewölbe in Dresden eine Animations-Metamorphose erfahren hätte. Viel Exotik, viel Akrobatik, viel Artistik, ein superbes Nachtclub-Duo-Adagio – ersonnen von den drei Choreografen Brigitta Nass, Gail Davies-Sigler und Marvin Smith. An die Tänzer werden die tollsten Anforderungen gestellt (allein diese ständigen Kostümwechsel in Sekunden!) – und sie bewältigen sie mit Bravour und fantastischer Timing-Präzision. Ich habe das in Deutschland nicht für möglich gehalten! Weltstadt Berlin – im Friedrichstadtpalast ist aus dem Zukunftstraum 2002 Realität geworden!

Kommentare

Noch keine Beiträge