Ein Prinzipal der ungewissen Handlung

Das neue gemischte Programm des Züricher Balletts

Zürich, 01/09/2002

Beginn des neoklassischen Tanzes bis in die Gegenwart, sondern er zeigt auch die Truppe selbst in einer blendenden Verfassung. Wobei besonders bemerkenswert ist, dass namentlich die Herren auf einem Niveau tanzen, von dem die meisten vergleichbaren Compagnien nur träumen können.

Das wird schon beim einleitenden „Allegro brillante“ von George Balanchine deutlich, in dem die Ballerini des Balletts mit begeisternder Homogenität und Verve auftrumpfen. Insgesamt mangelt es diesem Bravourstück allerdings etwas an tänzerischem Glanz, was nicht zuletzt an dem noch sehr entwicklungsfähigen, fahl wirkenden Solistenpaar Evelyne Spagnol und Stanislav Jermakov liegt. Überdies wird zu einer Bandaufnahme von Tschaikowsky unvollendetem Klavierkonzert Nr. 3 getanzt, die dem Titel des Stücks geradezu Hohn spricht.

Aber beim folgenden Pas de deux „Sarcasms“ von Hans van Manen wendet sich das Blatt. Jermakov gelingt es zwar nie, was er eigentlich sollte, seiner Partnerin Ana Quaresma Paroli zu bieten. Aber wie sie ihn, sophisticated bis unter die Haarwurzeln, in diesem ausgebufften Duell der Geschlechter mit Blicken, maliziösem Lächeln und knisternd erotischem Tanz unterbuttert, das ist einfach klasse. Der ausgezeichnete Alexey Botvinov spielt Prokofjews gleichnamige Klavierstücke live auf der Bühne, wie er es auch mit den sechs „Nocturnes“ von Chopin tut, das Ballettdirektor Heinz Spoerli im Jahre 1997 für Zürich kreiert hat. Das Stück für kleines Ensemble und Solisten ist seither merklich gereift und hat noch an elegischem Fluss der Bewegungen gewonnen. Als würden welke Blätter im linden Herbstwind späte Hochzeit feiern, weht es sanft und beruhigend über die Bühne.

Mit der Uraufführung des Hauptwerkes des Abends, „Quintett“ zum Streichquintett C-Dur D 956 von Franz Schubert, erweist sich Heinz Spoerli erneut als ein Prinzipal der ungewissen, getanzten Handlung, des Schilderns von Hoffnung und Verlust, die in dieser Choreografie einen weiteren Höhepunkt erreichen und Schuberts großem Werk durchaus ebenbürtig sind. Jordi Roig hat ihm dafür eine schlichte Bühne mit drei blassen Bildern eines Parks und zartfarbigen Kleidern und Trikots geschaffen. Fünf Paare tanzen gewissermaßen das noch intakte Leben, in dem die Solisten Karine Seneca, Ana Quaresma, Marine Castel, Dirk Segers und Jozef Varga in wechselnden Beziehungen ihre Schicksale erfahren.

Über all dem liegt eine melancholische, gleichwohl freundliche Ruhe, die vor allem im zweiten Satz, der nur von den Solisten bestritten wird, von einer tröstlichen Wärme bestimmt sind, wie sie sich vollkommener kaum vorstellen lassen. Eine Choreografie, die zwischen Diesseits und Jenseits angesiedelt ist – zweifellos ein Meisterwerk des Genres. Der anrührenden Interpretation der Züricher Tänzer, die bereits am Beginn der Spielzeit als ein Ensemble wie aus einem Guss für sich einnehmen, entspricht auch das so feinnervige wie blutvolle Spiel des um den Cellisten Daniel Pezzotti ergänzten Züricher Amati-Quartetts. Für Ballettfans ist dieses Programm ein Pflichttermin.

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