The Britten Evening

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Hamburg, 19/06/2002

Sonderlich beliebt scheint er nicht zu sein, „The Britten Evening“. Es ist erst die sechste Vorstellung seit seiner Premiere vor einem Jahr. Das Haus nicht ganz gefüllt, das Publikum allerdings applaudiert alle drei Ballette gleich stark und ausdauernd. Auch John Neumeiers „Stimme der Nacht“, das bei der Premiere so vehement ausgebuht wurde und sehr durchwachsene Kritiken erhielt. Auch ich war damals nicht sonderlich angetan, doch die Wiederbegegnung zwingt mich zu einer Korrektur.

Es ist sicher nicht eins von Neumeiers größten Balletten, aber wenn man bereit ist, sich auf seine Thematik einzulassen – alternder Mann, der in seinen Halbwachträumen von einer Horde knackiger Jungen heimgesucht wird (die Aschenbach-Problematik also) – ebenso sicher eins seiner persönlichsten. Sicher auch eins seiner stimmungsdichtesten, handwerklich gediegensten – abgesehen von der herzlich überflüssigen Episode mit Diana und dem Jäger. Wobei man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass der Auftritt der Frau in diesem Männer-Ballett eine reine Farce ist. Aber vielleicht identifiziere ich mich ja zu sehr mit seiner Thematik. Jedenfalls gestehe ich, dass auch ich von so viel Jugendschönheit der sechs Tadzio-Boys hingerissen bin, zumal da Neumeier sechs so ungemein sexy wirkende Boys hat und Lloyd Riggins in der hinreißend von ihm durchlittenen Aschenbach-Britten-Neumeier-Rolle, während mich die vorzügliche Joelle Bourgnon hier – anders als gestern in der „Möwe“ – völlig kalt gelassen hat.

Insgesamt bezeugt der Abend in seiner musikalischen Geschlossenheit, seiner musikalischen Ausführungsqualität (Dirigent wieder der so unglaublich sensible Markus Lethinen) und der exquisiten Musikalität aller drei Choreografien einmal mehr die kulturelle Reife, die das Hamburger Ballett heute auszeichnet, eben die Hamburger Ballett-Kultur (darin auch Stuttgart und München, seine beiden ernsthaftesten Konkurrenten übertreffend). Übrigens hat die Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester durch die feinstimmige Interpretation des Tenor-Solisten Peter Galliard noch gewonnen (wenn man doch nur mehr Text verstünde – vielleicht sollten die deutschen Texte projiziert werden: es wäre jedenfalls eine enorme Verständnishilfe für das Publikum).

Das stärkste Ballett des Programms ist aber nach wie vor Jiří  Kyliáns „Vergessenes Land“, rasant getanzt, an diesem Abend mit Tamas Detrich aus Stuttgart als Last-Minute-Gast. Das abschließende „VIII.“ (nicht Bruckner, sondern King Henry) bleibt ein problematisches Stück: ein erzmusikalischer, hoch talentierter, fabelhaft einfallsreicher Jungchoreograf, aber doch auch eine reichlich verschmockte Story, ziemlich verstaubter Kostümplunder und ein höchst überflüssiges karnevaleskes Divertissements-Quartett – aber auch toll gearbeitet und darum von den Hamburgern mit offensichtlicher Wonne getanzt, allen voran Carsten Jung, Heather Jurgenson und Elizabeth Loscavio (aufgefallen ist mir darüber hinaus in allen drei Balletten, wie auch schon gestern in der Rolle des Lehrers Medwedenko, ein Bursche durch seine Attacke, sein Engagement und seine einnehmende Fröhlichkeit: Peter Dingle – Alexandre Riabko sowieso, Hamburgs glänzendstes Zukunftsversprechen, in allem, was er tanzt).

Alles in allem also: „The Britten Evening“ – eine einzige Sympathie-Werbung für Benjamin Britten und das Hamburger Ballett!

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