Saburo Teshigawara mit „Absolute Zero“

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Ludwigsburg, 18/07/2001

Im bunt schillernden Ludwigsburger Tanzangebot der laufenden Festspielsaison ist er eine der individuellsten Erscheinungen: der 48jährige Japaner Saburo Teshigawara, der mit seinem Stück „Absolute Zero“ im Theater im Forum zu Gast war. Eigentlich ein Soloperformer, der für Choreografie, Bühne, Licht und Kostüme verantwortlich zeichnet, hat er nur im zweiten Abschnitt seines dreiteiligen Programms ein Gegenüber, die Tänzerin Kei Miyata, die aber mehr als Folie seiner Motionen fungiert denn als eigenständige Dialogpartnerin seiner narzisstischen Monologe – als Weißkontrast zu seinem den ganzen Körper umhüllenden mönchischen Schwarz, aus dem nur die Hände und der kahlgeschorenen Schädel gleißend im Scheinwerferkegel bloßliegen.

Den einzelnen Teilen sind jeweils Video-Sequenzen vorgeschaltet – wildbewegte, geil wuchernde Blumen, rasant vorbeiziehende Menschenreihen, Züge, die durch Tunnels jagen. Dazu gibt es Musik, mal klassisch sanft, dann wieder ohrenbetäubender Hardrock bis zu enervierenden Noise-Deformationen, die sich schließlich im verklärenden A-Dur des mozartschen Klarinettenkonzerts auflösen, vor lichtblauem Hintergrund: eine Apotheose der Ruhe, Klarheit und Schönheit – offenbar der vom Titel suggerierte Nullpunkt. Zwischendurch gibt es im dritten Teil zusätzlich eine Bilderschau alter Meister – wohl als Versöhnungsangebot zwischen der ostasiatisch-japanischen Grundhaltung und dem Brückenschlag zur europäischen Vergangenheit.

Stillstand, absolute Ruhe und heftigst beschleunigte, eigentlich anatomisch für unmöglich gehaltene Bewegung sind die Pole, zwischen denen sich Teshigawaras Tanz ereignet. Dabei wird man sich immer wieder seiner bildhauerischen Herkunft bewusst. Auf der anderen Seite faszinieren seine höchst individuellen, in einem atemberaubenden Tempo praktizierten Bewegungssequenzen, die von seiner wellenförmigen Wirbelsäule auszugehen scheinen und den ganzen Körper in ein permanentes Oszillieren versetzen, dessen Komplexität noch dadurch gesteigert wird, indem die einzelnen Körperteile streng separierte Bewegungsfolgen ausführen. So erweckt er den Eindruck eines völlig anderen Zeitgefühls, scheint er alle Erdenschwere zu suspendieren, versetzt er die Zuschauer in einen Zustand, in dem sie selbst zu schweben meinen, in dem sie die absolute Bewegungslosigkeit als Zentrum aller Bewegung und die Geschwindigkeit als Nullpunkt der Reglosigkeit empfinden.

Am Ende herrscht pure Ratlosigkeit, deren hektische Betriebsamkeit (auch der überflüssigen Video-Interpolationen) die gähnende Leere des in der Isolation existierenden Individuums nicht bemänteln kann (und von Teshigawara mit allerlei pseudophilosophischem Schwulst theoretisch untermauert wird). Das mutet zwar ungeheuer fremdartig an, entfaltet aber eine eigene, letzten Endes doch wieder sehr japanisch anmutende narkotische Bannkraft, der sich das Ludwigsburger Publikum willig hingab.

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