Nijinsky-Gala XXVII

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Hamburg, 15/07/2001

Finale der diesjährigen Hamburger Ballett-Tage, deren Gala inzwischen ihres Nijinsky-Bezugs verlustig gegangen ist. „Giselle and Friends“ lautete diesmal der Titel („Giselle und ihre Freunde“ klingt offenbar für den hanseatischen Geschmack zu provinziell). Das dreiteilige, knapp fünfstündige Programm ausgesprochen clever zusammengestellt.

Am Anfang die Ballettschule mit einem „Nussknacker“-Medley als Visitenkarte der grundsoliden Basis-Arbeit – am Ende der komplette zweite „Giselle“-Akt in der neuen Neumeier-Version, die so vorbildlich Tradition und heutigen theatralischen Anspruch auf einen Nenner bringt – mit Alina Cojocaru, der neuen Royal-Ballet-Giselle-Vorzeigeballerina und Ethan Stiefel vom American Ballet Theatre als Herzog Albert – offenbar ein Sprössling des amerikanischen Kennedy-Clans.

So klassisch abgesichert und mustergültig den technischen und stilistischen Standard des Hamburg Balletts (das schreibt sich gottseidank noch mit zwei t) demonstrierend, bot das übrige Programm einen bunten Stilmix. „Giselle“ am nächsten war Bournonvilles „Blumenfest von Genzano“-Pas-de-deux (aber bitte der, nicht das Pas de deux!), sehr charmant von Johan Kobborg, derzeit beim Royal Ballet, mit der schon genannten Rumänin Alina Cojocaru getanzt. Etwas weiter entfernt der Showstopper „Le Corsaire“ (Gillian Murphy vom American Ballet Theatre in Stiefeln mit Karacho hingefetzt).

Am weitesten von der Original-„Giselle“ entfernt der Pas de deux der Mats Ek Version (mit den Münchner Gästen Beate Vollack und Norbert Graf). Noch weiter weg ein stürmisch bejubeltes Solo, „Piece“, des Hamburger Tänzers Yukichi Hatton, das zwei Tage zuvor, beim Don Perignon Wettbewerb mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet worden war – eine stilistisch völlig aus der Art geschlagene, sozusagen abstrakte Studie eines auf dem Trockenen ausgesetzten Zitteraals.

Neumeier-Beiträge waren Ausschnitte aus der „Kameliendame“, aus „Sylvia“ und von Neumeier selbst mit bewegenden Worten als Abschied von der wunderbaren Anna Grabka eingeführt, aus der „Odyssee“ (mit Ivan Urban) – dazu noch als Hamburger Premiere sein kürzlich fürs ABT choreografiertes Ballett „Getting Chances“ (keine Chance für die deutsche Sprache – auch in Hamburg nicht!) zu Ned Rorems Streichersinfonie – ein Energiebündel von Ballett in fünf Sätzen, mit zwei Rollen für hinreißend virtuosen Bubeníček und Riabko (aber auch die zehn übrigen Tänzer sind blendend bedacht).

Weiter ein von Wheeldon speziell für Silvia Azzoni und Carsten Jung arrangierter, gleichsam aus der zugrunde liegenden Schostakowitsch-Musik heraus destillierter Pas de deux „Mercurial Manoeuvres“ (allerdings wenig „merkurisch“). Als Vorweg-Uraufführung ein sehr zeremoniös japanisches Zeitlupen-Duo „Blackbird“ für Megumi Nakamura und Ken Ossola aus dem für Japan geplanten abendfüllenden Kylián-Ballett „Blackbird“.

Ein Programm der Fülle – ohne dass man hinterher ein Gefühl der Völle gehabt hätte. Drei Tage Hamburger Ballett – drei Tage großer Respekt für die seit 27 Jahren von John Neumeier und seiner Kompanie geleistete Arbeit. Für mich drei Tage lang die Bestätigung meines unbeirrbaren Glaubens an die unverminderte Lebenskraft und die Schönheit des klassischen Balletts.

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