Neue Weichenstellung in Moskau

oe
Stuttgart, 07/06/2001

Nach den ständigen Querelen und Turbulenzen der letzten Jahre beim Moskauer Bolschoi-Ballett ist man sich zwar nie sicher, was die russischen Kulturfunktionäre sich als nächsten Coup ausgedacht haben, aber mit der Berufung von Boris Akimow als neuer Künstlerischer Direktor der renommierten Kompanie zeichnet sich doch ein leichter Hoffnungsschimmer ab. In einem ausführlichen Interview, das im Mai-Heft der englischen „Dancing Times“ erschienen ist, hat er sich detailliert über seine Pläne geäußert.

Akimow ist 1946 in Wien als Sohn eines Angehörigen der Roten Armee geboren worden, hat am Moskauer Choreografischen Institut studiert und wurde nach seinem Examen 1965 Mitglied des Bolschoi-Balletts, wo er rasch Karriere machte und sowohl die Prinzenrollen als auch die Heldenrollen des modernen Repertoires tanzte. Er hat dann die pädagogische Fakultät des GITIS absolviert, wo er als einer der Vorzugsstudenten von Maris Liepa 1978 sein Diplom erwarb. Er beendete 1989 seine Tänzerkarriere und ist seither ein vielgefragter Pädagoge, der regelmäßig auch im Westen gearbeitet hat: in Tokio, Mailand, Kopenhagen, Amsterdam und beim Royal Ballet, in Wien und in Hamburg.

Er selbst sei von seiner Berufung als Chef des Bolschoi-Balletts total überrascht worden, hat er erklärt. Sein Büro stünde jedermann offen, und es gehe ihm darum, eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens zu schaffen – er selbst behält sich die Leitung der Zehn-Uhr-Klasse für die Männer vor. Die – offenbar recht erfolgreiche – „Schwanensee“-Neuinszenierung von Grigorowitsch sei noch vor seiner Berufung vereinbart worden – er vertraut aber auch in Zukunft auf eine harmonische Zusammenarbeit mit Grigorowitsch, der im nächsten Jahr zu seinem 75. Geburtstag ein neues Ballett nach Bulgakows „Der Meister und Margarita“ kreieren will.

Akimow hat sich vorgenommen, das Bolschoi-Repertoire farbenreicher zu gestalten und kündigt als nächste Neueinstudierungen Ashtons „Fille mal gardée“ und Petits „Pique Dame“ an und hofft auf einen dreiteiligen Abend mit Musik von Sibelius, choreografiert von dem jungen Ukrainer Alexei Ratmansky, der gegenwärtig beim Königlich Dänischen Ballett tanzt. Großen Wert legt er indessen darauf, dass das Bolschoi-Ballett, das er weit geöffnet hält für den Einstrom westlicher Ideen, seine Identität behält – es soll also „very Russian“ bleiben. Da wollen wir ihm gern die Daumen drücken!

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