"Ein Sommernachtstraum" von Youri Vámos, Düsseldorfer Ballett

Bolschoi als modern verkleidet

Ludwigsburg, 06/05/2001

Ist der Zuschauerraum des Forum-Theaters im Anflug auf den sommernächtlichen Airport von Athen? Doch nein, plötzlich wird es taghell auf der Bühne, und das anfängliche Lichtergeflimmer verwandelt sich in einen lauschigen Park aus überdimensionalen tropischen Pflanzen. Im Stil der Dreißiger chic gekleidete junge Leute tanzen nach Leibeskräften, zwei Kobolde reißen ihnen die Kleider von den Leibern, im Hintergrund erhebt sich ein metallisch angemalter Oberon und lässt die beeindruckenden Muskeln spielen: Das Ballett der Deutschen Oper am Rhein tanzt den „Sommernachtstraum“ seines Chefs Youri Vámos.

Dieses Stück nimmt sich als Saisonabschluss der sonst so ambitioniert avantgardistischen und sehr auf Qualität bedachten Tanzforum-Reihe des Ludwigsburger Kulturamtes höchst merkwürdig aus. Vamos, ein engagierter Verfechter und unermüdlicher Produzent abendfüllender Handlungsballette eher traditionellen Zuschnitts, ist auch bei diesem aus dem Jahre 1998 nach seinem bewährten Schema vorgegangen – Hauptsache, es wird getanzt. Zwar lässt er sich im Programmheft zahlreicher Neuerungen rühmen, namentlich seiner Suche nach der Tragödie hinter der Komödie, aber auf der Bühne ist davon nichts zu merken.

Dass er die Handlung aus dem antiken Griechenland ins etwa heutige Südtirol verlegt und aus einem Puck zwei gemacht hat, das muss als Beweis des Modernen reichen. Im Übrigen hangelt sich der Choreograf kalauernd an Shakespeares Handlungsfaden entlang, lässt keine Gelegenheit zu einem plumpen Gag aus und scheut auch nicht vor Sauigeleien zurück – bevor Puck einen großen Schwamm in den Zaubertrank ausdrückt, hat er sich mit ihm den Hintern gewischt.

Vámos verordnet seinem Personal zwar viele merkwürdig rudernde, schaufelnde, drehende Armbewegungen, er lässt Fäuste ballen und Finger spreizen, aber im Grunde ist das pures, erzkonservatives Bolschoi, mit allerlei bizarren Drapierungen als zeitgenössischer Tanz verkleidet.

Dass die „Handwerker“ in Sepplhosen auftreten und Schuhplattler tanzen, diesen Einfall hat Heinz Spoerli, Vámos' Vorgänger im Amte, schon vor 25 Jahren mit „Chäs“ erheblich geistreicher verarbeitet. Und er hat sich damals auch verkniffen, seine Tänzer ihr Ohrenschmalz auf den Bühnenboden schmieren zu lassen. Zu Ausschnitten aus diversen Kompositionen von Mendelssohn-Bartholdy – auch aus dem „Sommernachtstraum“ – ackert das Stück mit Macht voran.

Vámos findet fast nie zu zarten Gesten oder feinen Passagen, alles ist grobschlächtig und direkt, immer feste druff. Dabei bewegt sich die Choreografie auf der Oberfläche der Musik, nimmt ihre Signale nicht wahr, horcht nicht in sie hinein. Auf die Hälfte gekürzt, hätte diese Produktion durchaus Meriten. Michael Scotts Ausstattung ist luftig und hell, die Glitzerhäute der Waldgeister zwar etwas zu revuehaft aber doch attraktiv; die Düsseldorfer können etwas und sind sehr engagiert, namentlich die Pucks Wladislaw Solounov und Cedric Anselme werden ihrer Schlackereien und Bocksprünge nicht müde.

Und auch der oft ohne erkennbare Handlung oder dramaturgische Notwendigkeit dahin wütende Tanz wäre bei kürzerer Dauer weniger langweilig. Bleibt das Staunen darüber, wie sehr doch manche sich fortschrittlich gebende Choreografen der längst überwunden geglaubten künstlerischen Vergangenheit verhaftet sind, und wie tiefgründig und seriös im Vergleich zu diesem doch Jean-Christophe Blaviers Stuttgarter „Sommernachtstraum“ ist, der am 11. Mai zum letzten Mal auf dem Spielplan steht.

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