„The Britten Evening“

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Hamburg, 13/07/2001

Bach, Mozart, Mahler, Strawinsky, Bernstein, Bartók - und nun also „The Britten Evening“. John Neumeier liebt es, seine Programme komponistenweise zu bündeln. Diesmal Benjamin Britten – sozusagen als Hommage an die lange bestehende Hamburg-United Kingdom-Connection. Ein nicht zuletzt musikalischer Anspruch, der in dieser Vorstellung unter der Leitung von Markus Lehinen eher pauschal eingelöst wurde. Das Hamburg Ballett am drittletzten Abend der 27. Hamburger Ballett-Tage in Formel-1-Kondition, mit all seinen persönlichkeitsprofilierten Solisten.

Als Eröffnungs-Statement einer der internationalen Britten-Klassiker: Jiří Kyliáns „Vergessenes Land“ zur Sinfonia da Requiem, kreiert 1981 fürs Stuttgarter Ballett, das mit seiner vollen balladesken Wucht als Rondo vom Kreislauf der Gezeiten und von der unstillbaren Gefräßigkeit des Meeres über die Rampe brandet, angeführt von Anna Grabka und Jiří Bubeníček, Natalia Horecna und Ivan Urban.

Im Mittelpunkt des Programms, als Kreation, Neumeiers „Stimme der Nacht“ zu Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester (von James Taylor leider wenig textverständlich gesungen). Ein Mann – Lloyd Riggins – sechs Jünglinge in weißen Minislips (was einen Teil des Premierenpublikums und die meisten der Kritiker ungemein erbost zu haben scheint), eine Dame in doppelter Erscheinung als letztlich frustrierte Verführerin (Joëlle Boulogne): Eine Elegie im Halbdämmern, zwischen dem zu Ende gehenden Tag und dem Anbruch der Nacht, voll sehnendem Begehren, ähnlich dem Tod Aschenbachs in Venedig, doch hier nun wohl eher auf den alternden Britten an der Küste von East Anglia bezogen – weniger schwul als homophil, ja vielleicht sogar pädophil, wie man ja von Brittens diesbezüglichen Neigungen weiß. Sicher nicht jedermanns Geschmack, aber ich konnte seiner sinnlichen Verführungskraft nicht widerstehen – schon gar nicht bei so apollinischer Body-Pracht.

Und dann also das mit großer Spannung erwartete kontinentale Debüt des 28-jährigen englischen Christopher Wheeldon, choreografischer Senkrechtstarter und bereits resident choreographer beim New York City Ballet. Sein Ballett heißt „VIII.“ – und meint Henrich VIII. (hier der attraktive Carsten Jung, ein Bantam-Gewicht gegen Holbeins berühmtem Fleischkoloss), der seine Frauen Katharina von Aragon (Heather Jurgenson) und Anna Boleyn (Silvia Azzoni) aufs Schafott schickt, weil sie ihm partout keinen Thronfolger gebären wollen (oder können). Sehr musiksensibel choreografiert zu Brittens Variationen über ein Thema von Frank Bridge. Ein eleganter Historienschinken (nicht unähnlich Bintleys „Edward II“ – und mit einer ähnlich enervierenden Gauklertruppe) und viel historisierender Couleur locale. Überzeugend in seinem Bau und seinen architektonischen Raumformationen, sehr einfallsreiche Motionen mit ausgesprochen individuellen Akzenten, die der Choreografie bei aller klassischen Bodenhaftung doch einen willkommenen modernistischen Touch verleihen.

Der Mann ist hoch talentiert, ein grundsolider Handwerker, unübersehbar der englischen Ashton-Tradition verhaftet – ein exzeptionelles Talent, das mit seinem amerikanischen Erfahrungshintergrund zu einem der großen Choreografen der kommenden Jahrzehnte heranzureifen verspricht.

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