Doch nur eine Reihe von Tanznummern

„Raymonda“ beim Bayerischen Staatsballett

München, 01/12/2001

Es hat immer wieder Versuche gegeben, das im Jahre 1898 in St. Petersburg uraufgeführte, abendfüllende Handlungsballett „Raymonda“ in der Choreografie von Marius Petipa zur Musik von Alexander Glasunow zu rekonstruieren und es damit dem westlichen Repertoire endgültig einzuverleiben. Am hartnäckigsten in diesen Bemühungen war Rudolf Nurejew, der zahlreiche Fassungen geschaffen hat, von denen sich allerdings keine wirklich etablieren konnte. Jetzt hat der amerikanische Choreograf Ray Barra, in derlei Dingen durchaus erfahren, beim Bayerischen Staatsballett eine neue, zweiaktige Version vorgestellt, deren Uraufführung indes so wenig befriedigen konnte, wie ihre Vorgängerinnen.

Das Problem ist vermutlich, dass, ausgenommen das große Hochzeits-Divertissement im Finale, die Choreografie Petipas weit gehend verschollen und es keinem ihrer Restaurateure gelungen ist, ihren ursprünglichen Zauber wieder zum Leben zu erwecken. Die Geschichte der Gräfin Raymonda, die zwar dem Grafen Jean de Brienne versprochen ist, aber erst durch das heftige Werben des Kalifen von Cordoba, Abderakhman, jene eigentliche Leidenschaft erfährt, die sie nach ausgiebigen Traumsequenzen und des Sarazenen Duelltod ihrem Grafen eine liebende Gattin sein lässt, sie hat Barra dazu gereizt, ihr mehr psychologische und dramaturgische Tiefe zu verleihen und vor allem die menschliche Reifung Raymondas zu schildern.

Aber letzten Endes hat er, wie auch schon bei seiner Münchner Fassung von „Don Quixote“, lediglich Tanznummer an Tanznummer gefügt, ohne einen fesselnden Handlungsverlauf schaffen zu können. Und weil Glasunows Musik namentlich im ersten Teil über die Maßen lyrisch und wenig emotional ist, zieht sich das Stück in der anfangs eintönig braunen und zunehmend farbprächtiger werdenden Ausstattung von Klaus Hellenstein ohne Höhepunkte dahin und mündet endlich in Langeweile, die erst von dem zündenden Schlussbild beendet wird.

Dabei gibt es blendend ausschauende Ensembleszenen zu bewundern, in denen sich besonders das weibliche Corps Meriten erwirbt, während es bei den Herren gelegentlich an der Homogenität mangelt. Aber die Schönheit allein kann eben nicht zwei Stunden füllen. Und manche der Nationaltänze, vor allem jene von Abderakhmans großem Gefolge, wirken in ihrer plakativen Exotik oft zu simpel.

Auch darstellerisch macht diese „Raymonda“ nicht viel her. Lisa-Maree Cullum in der Titelpartie ist eine technisch fabelhafte Ballerina von bemerkenswertem Charme, deren makelloser Tanz immer wieder begeistert, aber dass sie als Folge ihrer Frauwerdung an erotischer Suggestion gewinnen würde, lässt sich kaum erkennen.

Und der massive Kirill Melnikov (de Brienne) in einer unmöglich ausschauenden Fechterweste hätte mit seinem maskenhaften Pathos im wirklichen Leben nicht den Hauch einer Chance gegen den kraftstrotzenden, augenrollenden Macho Amilcar Moret Gonzales (Abderakhman), der sich mit seinen wilden Sprüngen im Nu in die Herzen des Publikums tanzte. Vorzüglich mit ihrer luziden, fließenden Technik auch Sherelle Charge als alles richtender Hausgeist „Weiße Dame“. Das Bayerische Staatsorchester unter Alexander Titov machte Glasunows überwiegend in geschmackvollem Pastell gehaltener Komposition alle Ehre.

Auch nach dieser Version wird uns „Raymonda“ auch künftig wohl vor allem in dem bewährten „Grand pas hongrois“ begegnen.

 

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