Ballettpremiere mit Robbins, Cranko, Forsythe und Spuck

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Stuttgart, 27/04/2001

Ein großer Abend in jeder Beziehung: Vier Choreografien, die exakt die jüngsten fünfzig Jahre Ballettgeschichte spiegeln: Jerome Robbins „The Cage“ (1951), John Crankos „Poème de l´extase“ (1970), William Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ (1996) und als Uraufführung Christian Spucks „Carlotta´s Portrait“ – mit vollem Orchester (Dirigent: James Tuggle), ein enormer Vorteil gegenüber der gehörschädigend elektronisch aufgeblasenen Frankfurter Forsythe-Premiere (eine Beleidigung Schuberts!).

Im Nachhinein mutet der Robbins, den wir zuerst 1952 beim ersten New York City Ballet-Gastspiel in Berlin sahen, wie ein Fanal der Women´s Lib an – hier mit Bridget Breiner in der Nora Kaye-Rolle und es ist ihr großer Durchbruch als dramatische Tanzaktrice. Der gelingt Yseult Lendvai als Fonteyn-Nachfolgerin im „Poème de l´extase“ leider nicht, ihr haftet etwas betulich Hausmütterliches an. Umso strahlender Robert Tewsley in der Rolle des sie anhimmelnden Jünglings – eine überaus charmante Hofmannsthal-Erscheinung. Im Übrigen froh, mal wieder in einer so opulenten Ausstattung schwelgen zu können (Jürgen Rose à la Gustav Klimt).

Crankos Fin-de-siècle-Choreografie ausgesprochen Nijinska-inspiriert. Forsythes Ballet pur mit dem unverständlichen Titel („Der schwindelerregende Reiz der Genauigkeit“) sollte besser „Speed“ heißen, denn die Geschwindigkeit erscheint hier auf die Spitze getrieben (ähnlich wie in Van Manens „Solo“ zu dritt). Dies ist ein Ballett der Formel-1-Klasse. Tewsley und Eric Gauthier, Sue Jin Kang, Krämer und Elena Tentschikowa tanzen es, als sei die Bühne ihr Hockenheim-Ring.

Und dazu noch Spucks „Carlotta´s Portrait“, inspiriert von Hitchcocks Film „Vertigo“ – mit einer genialen Musikdramaturgie (die Film-Musik von Bernard Herrmann als Verbindungsglied und idée fixe zwischen den einzelnen Orchesterstücken op. 6 von Anton Webern) – mit völlig entbehrlichem, dazu noch schwer verständlichem englischen, ungemein geschwollenen Text. Aber als Ballett von einer grauenhaften, mysteriösen Spannung erfüllt.

Tolle Gruppenarrangements, Ensembles und Raumarchitekturen, die einem gleichsam den Boden unter den Füssen wegziehen (acht Solistenpaare, darunter solche Kaliber wie Krämer und Tewsley, Breiner und Conn). Die Porträt-Rahmenhandlung (Lendvai und der katzengleich elastische Friedemannn Vogel) bringt nicht viel – Lendvai als gealterte Kim Novak, geschenkt! Das Ganze fabelhaft komponiert – ein Meisterstreich Spucks mit leicht korrigierbaren kleinen Fehlern. Sollte besser „Suspense“ oder „Mystère“ heißen!

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