"Asympthem" (UA) von Jai Gonzales, Unterwegs-Theater, Rotebühltreff

Ziehen die Nase hoch und verschwinden

Stuttgart, 21/04/2001

Es scheint bei Choreografen zunehmend beliebt zu werden, dass sie ihre Stücke nicht mit einem richtigen Schluss, womöglich sogar mit einer Pointe versehen, sondern sie am Ende sozusagen rückwirkend in Frage stellen. Sie schicken das Publikum mit folgendem, unausgesprochenen Satz nach Hause: „In Wahrheit ist vielleicht alles ganz anders, wir haben nur irgendwie rumgemacht und wissen selber nicht so richtig.“ Die Peruanerin Jai Gonzales, seit vielen Jahren künstlerische Reiseleiterin des international renommierten Heidelberger Unterwegs-Theaters, lässt die Uraufführung ihres Stücks „Asympthem“ im Rotebühltreff so ausklingen: Die vier der insgesamt sechs Damen und Herren, die gerade auf der Bühne sind, hören einfach auf zu tanzen, hocken sich hin, räuspern sich, quatschen, ziehen die Nase hoch und verschwinden. Ja, was sollte das jetzt?

So rätselhaft wie sein Titel, ist auch das ganze Unterfangen. Die Choreografin stellt ihrem Werk zwar ein Zitat des Architekten Steven Holl voran, der unter anderem sagt, dass „in den heutigen paradigmatischen Verschiebungen jegliche materielle Schwere aufgehoben zu sein“ scheint, aber was hilft uns das beim Verstehen dieser Menschen? Sie räumen fortwährend Tische um, stellen sie senkrecht und gegen die Wand, turnen auf und unter ihnen herum, prüfen mit ihren Kanten die unterschiedliche Wabbeligkeit ihrer Hinterteile und machen mit ihnen zuweilen allerhand Radau.

Nie sind alle Tänzer gleichzeitig auf der Bühne. Während aus den Lautsprechern elektronische Musik dudelt, peitscht und beschwörend feierlich dröhnt, fassen sich die Menschen an, suchen nach irgendetwas und bewegen sich vor allem wie in Zeitlupe oder unter Wasser. Und weil gleichzeitig auf einem Projektionsschirm eine pendelnde Hand, Mondfähren, eine Brustwarze, Atombombenexplosionen und wieder eine Hand unscharf zu sehen sind, könnte man auf den Gedanken kommen, dass es sich bei dem Geschehen einfach um Materieteilchen ohne „jede materielle Schwere“ handeln könnte.

Könnte. Nach knapp einer Stunde spielt Glenn Gould Bach und es entsteht so etwas wie Tanz, bei dem sich die Partner allerdings eher gegenseitig zu behindern scheinen und vor allem die Frauen immer wieder von den Männern fort streben. Aber dann ist ja auch plötzlich Schluss. Ist das die Auflösung der Welt oder ihrer Werte? Hat Jai Gonzales einfach nicht mehr weiter gewusst, den künstlerischen Faden verloren? Hat sie gemerkt, dass es dem Stück an theatralischer Magie fehlt, dass es nur durch die technische Versiertheit seiner Interpreten wenigstens streckenweise interessant wirkt und bricht es deshalb einfach ab?

Und was soll die amerikanische Band „the renaissance“, die das Publikum mit Rap empfängt, sich in den ersten zwanzig Minuten mit ein paar Geräuschen einmischt, sich dann aber verkrümelt und am Ende, wie eine Zugabe, zwei weitere Rattersprechproben zum Besten gibt, wobei einer von ihnen seine akustische Gitarre so sehr malträtiert, dass gleich drei ihrer Saiten reißen? War das eine Wiedergutmachung für die erlittene Langeweile?

Nein, diese intellektuelle Geheimniskrämerei bekommt dem Tanz nicht. Wenn sich sechs Tänzer über die Dauer von mehr als einer Stunde bedeutungsschwer mit sich selbst beschäftigen müssen, um den dramaturgischen Unterdruck ihrer Arbeit zu kaschieren und ihn als Rudern zu neuen künstlerischen Ufern auszugeben, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn sie dabei untergehen. Aber Norbert Mohrs Nicht-Beleuchtung war manchmal durchaus eindrucksvoll.

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